Publiziert am: 14.08.2015

Bürokratie hemmt Gentech-Pionier

REGULIERUNG – Die auf Strukturerhaltung zielende Umsetzung des seit 2007 geltenden Gentechnik-Gesetzes macht dem Basler Arzt und Professor André R. Miserez und seiner Firma diagene das Leben schwer. Ein Lehrstück in Sachen schädliche Regulierung.

Prof. André R. Miserez hat ein Problem: Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und vom Bundesrat ernannte Experten machen dem Genetik-­Mediziner und Professor für Innere Medizin an der Uni Basel das Leben schwer. Sie bedrohen die Existenz seiner Firma diagene GmbH in Reinach, die u.a. genetische Analysen durchführt. Und sie nehmen vielen von Miserez’ Patienten die Hoffnung auf ein langes, gesundes Leben.

Auf die Hoffnung folgte...

Angefangen hatte alles voller Hoffnung. Vor rund 27 Jahren, als noch junger Arzt, begann Dr. Miserez am Univer­sitäts­spital Basel mit Hilfe damals neuer Erkenntnisse (Nobelpreis für Medizin 1985) eine relativ häufige Krankheit zu entdecken: Die familiäre Hypercholesterinämie. In der Schweiz sind etwa 55 000 sonst gesunde Patienten von dieser Cholesterinstoffwechselkrankheit betroffen, die schon früh zu Herzinfarkten führt. «Eine frühe Diagnose und Behandlung kann das Problem vollständig lösen und führt in der Regel zu einer vollkommen normalen Lebens­erwartung, wirkt also sozusagen lebensrettend», erklärt Miserez.

Um seine Kenntnisse zu erweitern, zog der damals 34-jährige Mediziner 1994 für drei Jahre ans Department of Molecular Genetics der Southwestern University in Dallas, Texas, zu den Nobelpreisträgern Mike Brown und Joe Goldstein und brachte in der Folge neueste Technologien zurück in die Schweiz. Zurück am Universitäts­spital Basel baute Miserez sein zweites Labor auf. Die entsprechenden Technologien waren damals in der Schweiz noch nicht eingeführt. «Ich konnte bei einer grossen Zahl von Patienten aus der Schweiz die Diagnose einer familiären Hyper­choles­terinämie stellen», erinnert sich der heutige Professor. Die reine Routinearbeit sei jedoch im Forschungsumfeld der Universität immer schwieriger geworden. Deshalb gründete Miserez 1999 ein eigenes Institut: die diagene Laboratories.

Von privaten Stiftungen wurden er und seine Mitstreiter damals tatkräftig unter­stützt. Miserez selber gewann renommierte Auszeichungen für seine innovativen Ideen und konnte einen Grossteil der Untersuchungen durch Querfinanzierung für die Patienten kostenlos anbieten.

...eine grosse ErnĂĽchterung

Im Jahr 2007 drehte der Wind. «Durch die Einführung des Gengesetzes änderten sich die Bedingungen grundlegend», sagt der 55-jährige Miserez ernüchtert: «Mit Hilfe neu geschaffener Gesetze ist es in der Schweiz heute möglich, Konkurrenz fast nach Belieben auszuschalten.» Ein harter Vorwurf, den er so begründet: «Ursprünglich sinnvolle Gesetze werden in der Folge durch Interessengruppen derart lange modifiziert, um nicht zu sagen zurechtgebogen, bis sie den eigenen Anliegen dienlich sind. Die ursprünglichen Ziele bleiben dabei oft auf der Strecke.»

Immer höhere Anforderungen...

Im Fall diagene Laboratories lief das laut Miserez so: Das BAG orientierte sich bei der Umsetzung des Gengesetzes sehr stark an externen Beratern. «Diese hatten die Einführung der neuen Technologien in der Erwachsenenmedizin z.T. schon an der Universität vehement bekämpft und wollten die ursprünglichen Machtverhältnisse wieder einführen, wie sie in den 1980er- und 1990er Jahren bestanden, als es die Erwachsenengenetik noch nicht gab.» In der Folge habe das BAG, «aus meiner Sicht ohne signifikante eigene Abklärungen», Verordnungen erlassen, die die Weiter­bildungsordnung jener Personen, die in diesem Gebiet arbeiten durften, «derart gestalteten, dass der Zugang für interessierte Ärzte der Erwachsenenmedizin praktisch a priori ausgeschlossen war».

Für die Erlangung des entsprechenden Weiterbildungstitels (meist durch Nicht-Ärzte) beispielsweise sei die Durchführung von Untersuchungen in einer kaum zu erreichenden Anzahl ganz spezifischer Analysen verlangt worden. «So wurden etwa drei bis neun Untersuchungen für bestimmte Krankheiten gefordert, die so selten waren, dass in der Schweiz pro Jahr höchstens zwei bis vier neue Patienten überhaupt entdeckt wurden.»

...trotz bester Referenzen

International steht Miserez’ diagene GmbH an der Spitze: Im Ringversuch des Referenzinstituts in Deutschland hat die Firma im laufenden Jahr von 56 Laboratorien aus 14 Ländern mit Abstand die besten Ergebnisse erzielt. «Was den diesjährigen Ringversuch angeht, sind wir die Nummer 1 in Europa.»

Dennoch erkennt das BAG Professor Miserez’ aus den USA stammende Weiterbildungen nicht an und verlangt von ihm deshalb die Anstellung einer weiteren, speziell zertifizierten Fachkraft. «Diese gibt es in der Schweiz nur in sehr kleiner Zahl», weiss Miserez. Die rund zwanzig bis dreissig Spezialisten (davon nur etwa sieben mit einer ärztlichen Ausbildung) seien entweder in anderen Gebieten tätig oder bereits pensioniert. «Es bleibt also nur der Ausweg, eine Fachkraft im Ausland zu rekrutieren – und das BAG müsste deren Ausbildung als gleichwertig der unseren akzeptieren.»

Seine eigene Weiterbildung – immerhin bei den Nobelpreisträgern Brown und Goldstein und bei der mehrfach preisgekrönten US-Genetikerin Helen H. Hobbs und die lückenlos nachgewiesene, erfolgreiche Führung mehrerer Laboratorien über bisher 27 Jahre – ist nicht nach den Vorgaben des BAG erfolgt und wird somit nicht anerkannt. Dies offenbar zu Recht: In einem achtjährigen Rechtsstreit mit dem BAG und Kosten im mittleren sechsstelligen Bereich ist Miserez am Ende unterlegen. Das Bundes­gericht folgte der Argumentation des BAG.

Vom oder ins Ausland

«Ich hätte mir nie träumen lassen, dass das, was ich vor über 25 Jahren aufgebaut habe, 15 Jahre später faktisch verboten sein würde», sagt Miserez sichtbar enttäuscht. «Es bleiben mir somit nur noch zwei Optionen»: Entweder müsse er für sein Labor rasch eine entsprechend hoch qualifizierte Person im Ausland finden – oder dann den innovativsten Teil seiner Tätigkeit ins Ausland, wo er auch internationale Patente besitzt, verlagern. «Das Ziel, den Patienten in der Schweiz im Sinne der internationalen Standards entsprechenden Medizin helfen zu können, ist dann aber nicht mehr erreichbar.»

Gerhard Enggist

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