Publiziert am: 07.10.2016

«Das Sparpotenzial ist gross»

STROMMARKT – Der unabhängige Energietreuhänder Mauro Renggli unterstützt KMU und Grossverbraucher, aber auch kleinere Energieversorgungsunternehmen beim Strom- und Gaseinkauf.

Schweizerische Gewerbezeitung: Weshalb verleitet die aktuelle Strommarkt­konfiguration – billigeren Strom gibt’s nur für Grossverbraucher – zum Missbrauch?

n Mauro Renggli: Damit KMU den Strom am Markt beschaffen dürfen, muss deren Verbrauch innerhalb der letzten zwölf abgelesenen Monate 100 000 Kilowatt­stunden (kWh) betragen. Hat man dies einmalig erreicht, bleibt man trotz späterem tieferem Verbrauch marktberechtigt. Einzelne KMU, welche leicht unter dieser Limite liegen, steigern ihren Verbrauch selber, um über die ominösen 100 000 kWh zu gelangen. Dies, indem beispielsweise eine Pizzeria ihre Öfen rund um die Uhr laufen lässt, wie die «SonntagsZeitung» publik gemacht hat.

«AKTUELL GIBT ES 
KEINEN KONSENS FÜR EINE VÖLLIGE ÖFFnUNG DES STROMMARKTS.»

Sie haben also Verständnis für KMU, die ihren Stromverbrauch künstlich in die Höhe treiben?

n Dies kann fallweise Sinn machen. Jedoch muss vorweg das Einsparungspotenzial geprĂĽft werden. Zudem ist ein erzwungener Stromverbrauch sicher nicht im Sinne der Energiestrategie 2050.

 

Weshalb ist der Strommarkt so aufgebaut?

n Basis dafür sind das Stromversorgungsgesetz und die -verordnung. Die Limite der 100 000 kWh wurde dazumal festgelegt.

Wieso ist die zweite Etappe der Strommarktliberalisierung – Marktöffnung für alle Konsumenten – bis heute nicht umgesetzt?

n Der Zeitpunkt dafĂĽr wurde mehrmals verschoben, und aktuell ist kein politischer Konsens vorhanden. Voraussetzung dafĂĽr ist auch der Abschluss des Stromabkommens mit der EU, wie der Bundesrat betont.

«KMU BESTIMMEN 
IHREN LIEFERANTEN 
SELBER, RENERGY 
LIEFERT KEINEN STROM.»

Was können KMU konkret tun, um zu billigerem Strom zu kommen?

n Ich empfehle, immer zuerst mit dem lokalen Energieversorger zu verhandeln. Wird man sich nicht einig, können Offerten eingeholt werden. Dafür fehlen aber vielen KMU das Know-how, die Ressourcen und Kontakte. Für diese KMU bietet Renergy verschiedene Lösungen an: Ziel ist es, die Verantwortlichen zu entlasten. Dies erfolgt durch eine Vollmacht. Damit holt Renergy beim lokalen Versorger die Verbrauchsdaten ein und analysiert diese. Anschliessend erhält das KMU eine Beschaffungsempfehlung. Kommt es zur Beschaffung, wird diese auf der elektronischen Beschaffungsplattform «EVU Handelsplatz Schweiz» aufgeschaltet. An diese sind mittlerweile 35 Lieferanten aus der ganzen Schweiz angeschlossen und bieten verbindliche Preise für KMU an. Dies bedeutet, dass die Abwicklung sehr schnell und transparent erfolgt. Wichtig ist dabei, dass das KMU den Lieferanten selber bestimmt: Renergy liefert keinen Strom und ist somit ein unabhängiger Dienstleister. Möchte ein KMU seinen Strombezug «vergrünen», beschafft Renergy auch die Herkunftsnachweise am Markt. Sehr oft bleiben die KMU zu einem tieferen Strompreis beim lokalen Energieversorger. Das passt, weil diese eine langjährige Zusammenarbeit verbindet und das KMU netztechnisch an den lokalen Versorger gebunden ist.

Wie viel können sie tatsächlich einsparen?

n Die Einsparung kann je nach aktuellem Tarif unterschiedlich sein: senkt man beispielsweise den Tarif um 
2 Rappen bei einem Verbrauch von 150 000 kWh, so beträgt die Einsparung 3000 Franken pro Jahr. Bei 
einem Dreijahresvertrag sind dies 9000 Franken. Pro Messstelle fallen jedoch jährlich wiederkehrende Kosten von rund 600 bis 900 Franken für die sogenannte Lastgangmessung an.

 

FĂĽr wen also rechnet sich die Geschichte?

n Auf Grund der genannten Kosten rechnet sich eine Beschaffung v.a. für KMU mit einem Verbrauch von mehr als 500 000 kWh. Zudem müssen kleinere KMU, die für die Gemeinde Dienstleistungen erbringen (Druckereien, Garagen u. a.), darauf achten, ob sich die Einsparungen unter dem Strich auch wirklich rechnen. Es kommt nämlich oft vor, dass nach einem Wechsel des Stromlieferanten die Gemeinde auch den Dienstleister wechselt...

«wer strom am markt BESCHAFFT, MUSS AUCH STEIGENDE PREISE IN KAUF NEHMEN.»

Bis zu welchem Zeitpunkt können KMU aus der Grundversorgung in den «Markt» wechseln?

n Der Wechsel muss per 31. Oktober kommuniziert werden und tritt per 1. Januar des Folgejahrs in Kraft. Das KMU muss dazu einen Netzzugangsantrag stellen. Diese Dienstleistung bietet Renergy ebenfalls an.

«KLEINERE KMU MÜSSEN DARAUF ACHTEN, OB SICH EIN WECHSEL WIRKLICH LOHNT.»

Was passiert, wenn die Strompreise wieder steigen, und wann könnte dies der Fall sein?

n Wer den Strom am Markt beschafft, muss auch steigende Strompreise in Kauf nehmen. Seit Mitte April 2016 sind die Strompreise sehr volatil. Da niemand eine Glaskugel hat und weiss, wann der «richtige» Zeitpunkt für den Stromeinkauf ist, bietet Renergy folgende Dienstleistung an: An einem bestimmten Tag wird das Verbrauchsprofil des KMU bewertet. Auf diesem Wert (z.B. 4 Rappen) legt man eine Preisobergrenze fest (auch Cap/Dach genannt), z.B. 4,2 Rappen. Sollte der Marktpreis darüber steigen, informiert Renergy den Kunden. So kann bei sinkenden Marktpreisen verhindert werden, dass man zu früh beschafft, bzw. bei steigenden, dass man zu spät und zu teuer einkauft.

«DIE NETZINSTABILITÄT WIRD DUCH DEN AUSBAU DER ‹ERNEUERBAREN› VERSTÄRKT.»

Wäre es nicht vernünftiger, den Markt komplett zu liberalisieren?

n Aus Sicht des Verbrauchers sicher. Dem stehen jedoch politische Hindernisse und Argumente der Strombranche entgegen.

 

Welche Auswirkungen haben Instabilitäten im Netz auf die Strompreise?

n Während die Strompreise sinken, steigen die Netzkosten. Netzinstabilität wird auch durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien (unkontrolliertes Einspeisen) verstärkt.

Interview: Gerhard Enggist

 

ZUR PERSON

Mauro Renggli (53) ist unabhängiger Energietreuhänder und seit 1990 in der Energiebranche tätig. Er unterstützt KMU und Grossverbraucher sowie Energieversorger und Gemeindewerke bei der Strombeschaffung. Zu seinen Kunden gehören u. a. Buchhandlungen und Druckereien ebenso wie die Holz-, Bau- oder Automobilbranche sowie Kliniken oder Fitness-Clubs. Sie alle bezahlen Rengglis Dienstleistung nur bei erfolgreicher Kosteneinsparung – d. h., dass alle Vorleistungen bis zum Abschluss eines Strombezugvertrages kostenlos sind.

DIE POSITION DES SGV

Der Schweizerische Gewerbeverband sgv befürwortet die Strommarkt­liberalisierung. Viele KMU können von den freien Strompreisen profitieren – und zwar nicht nur bei einem Abkommen mit der EU, wie der Bundesrat es immer betont. Ein freier Strommarkt in der Schweiz ist ohne EU-Anbindung ohne Probleme umzusetzen. Mehr noch: Diese Liberalisierung ist sogar im aktuell geltenden Gesetz gewollt.

Henrique Schneider, Stv. Direktor, Ressortleiter Energiepolitik

 

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