Publiziert am: 27.05.2016

Der Bürger ist kein Therapiefall

Tribüne

Die Gesundheitskommission des Ständerates beantragt, das neue Tabakproduktegesetz zur Überarbeitung an den Bundesrat zurückzuweisen. Diese nüchterne Mitteilung hat in gewissen Medien einen Aufschrei verursacht. Die Beweggründe für diesen Entscheid interessierten dabei kaum. Die Erklärung war scheinbar schnell gefunden: Die Ständeräte erlagen dem Druck der Tabaklobby. Dabei wird ausgeblendet, dass die Mitglieder des Ständerates durchaus in der Lage sind, selbst zu denken und eigenständig zu entscheiden.

I ch selbst (Nichtraucherin) habe der Rückweisung auch zugestimmt. Dass das Rauchen schwere Krankheiten verursacht und zu einem früheren Tod führen kann, ist unbestritten. Genauso schädlich sind jedoch auch übermässiger Alkoholkonsum, starkes Übergewicht oder der Missbrauch von Medikamenten. Ja, und es stimmt auch, dass die Gesellschaft sozusagen solidarisch für die Kostenfolgen von Tabakkonsum haftet. Doch das Volk hat einer solidarischen Krankenversicherung zugestimmt und akzeptiert damit, dass sich einige Menschen dafür entscheiden, sich selbst zu schaden. Und wir alle wissen, dass uns jederzeit eine schwere Krankheit einholen kann, auch wenn wir vermeintlich gesund leben.

Die Frage, die man sich beim Tabakproduktegesetz stellen muss, ist, ob die beabsichtigte Präventionswirkung den starken Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit rechtfertigt. So sieht das Gesetz weitreichende Werbe- und Sponsoringverbote vor. Im Unterschied zum Rauchverbot in öffentlichen Räumen geht es dabei nicht um den Schutz von Dritten vor den schädlichen Auswirkungen des Rauchens. Nein, die Bürgerinnen und Bürger sollen durch Werbeverbote auf den richtigen Weg gebracht werden. Der Staat traut also den Menschen nicht zu, dass sie die Folgen ihres Tuns selbst abschätzen können. Darüber hinaus sollen Produzenten von Tabakprodukten ihre Ausgaben für Werbung und Verkaufsförderung dem Bundesamt für Gesundheit melden. Die Informationen werden im Internet veröffentlicht.

Solche Massnahmen gehen für mich in einer Güterabwägung zwischen Prävention und Wirtschaftsfreiheit eindeutig zu weit. Zudem bereiten sie den Boden für weitere Eingriffe. Müssen Produzenten von «ungesunden» Lebensmitteln ihre Marketingbudgets auch bald offenlegen? Müssen Metzger bald Warnschilder aufstellen, um vor übermäs­sigem Fleischkonsum zu warnen? Und wie halten wir es mit der Crèmeschnitte?

Dass der Bundesrat die Prävention bei Minderjährigen verstärken will, ist zu begrüssen. So unterstütze ich entsprechende Verkaufsverbote oder auch Einschränkungen bei der Werbung, wenn sich diese gezielt an Kinder und Jugendliche richtet. Dass der erwachsene Bürger zunehmend als Therapiefall betrachtet wird, der nicht in der Lage ist, selbst zu entscheiden, was gut und was schlecht für ihn ist, lehne ich jedoch ab. Aus diesem Grund hat das Parlament 2012 das Präventionsgesetz abgelehnt. Was damals keine Mehrheit fand, soll nun in separaten Erlassen durchgesetzt werden.

E ine weitere Auseinandersetzung mit dem Bundesrat zeichnet sich bei der KVG-Revision zur «Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit» ab. Hier hat die ständerätliche Kommission mehrheitlich entschieden, gar nicht auf das Gesetz einzutreten. Der Bundesrat will über zentral gesteuerte Programme die Qualität im ­Gesundheitswesen sicherstellen. Die Finanzierung soll über einen Zuschlag auf die Krankenkassenprämien erfolgen, was ca. 20 Millionen pro Jahr einbringt. Dass die Qualität im Gesundheitswesen eingefordert und überprüft werden muss, ist unbestritten. Die Finanzierung über die Prämien kommt für mich jedoch nicht in Frage. Qualität im Gesundheitswesen ist geschuldet. Man kann ja nicht ernsthaft verlangen, dass die Patienten hierfür eine separate Abgabe entrichten. Man stelle sich vor, man müsste beim Einkauf an der Kasse noch einen separaten Beitrag entrichten, damit die Qualität der Produkte sichergestellt werden kann!

Der Ständerat wird beide Vorlagen in der Sommersession beraten. Hoffen wir, dass er sich für mehr Freiheit und Eigenverantwortung entscheidet und den Bürger damit nicht als Therapiefall betrachtet.

*Karin Keller-Sutter ist seit 2011 St. Galler FDP-Ständerätin. Zuvor war sie Justizdirektorin ihres Kantons.

 

Die Tribüne-Autoren geben ihre eigene Meinung wieder; diese muss sich nicht mit jener des sgv decken.

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