Publiziert am: 19.09.2014

Die Euphorie ist längst verflogen

BRIC-STAATEN – Wie gewonnen, so zerronnen: Der Hype um die Schwellenländer Brasilien, ­Russland, Indien und China ist zum ­Erliegen gekommen. Chancen bestehen dennoch.

Noch vor nicht allzu langer Zeit schwärmten alle von den sogenannten BRIC-Staaten. Brasilien, Russland, Indien und China waren einst die Zukunft der globalen Wirtschaft. Doch noch bevor diese Zukunft überhaupt eintreten konnte, scheint sie schon der Vergangenheit anzugehören. Was ist passiert?

Von den vier grössten aufstrebenden Ländern ist nur China in guter Verfassung. Die Wertschöpfung im Reich der Mitte wächst immer noch über sieben Prozent pro Jahr; China baut zunehmend Technologie und Know-how auf; es setzt auf eine Art der Berufsbildung. Die einst mausarme Agrarwirtschaft verwandelte sich zum weltweit grössten Exporteur.

Vom Aufbau Chinas profitieren

Doch es gibt auch Herausforderungen. China muss noch eine Mittelschicht etablieren. Und die Benachteiligung der KMU gegenüber den grossen oder staatlichen Unternehmen ist auch ein Problem. Zudem stehen noch Arbeiten im Finanzmarkt und in der Bildung an. Doch diese Arbeiten gehen voran.

Gerade von diesen Auf- und Ausbauarbeiten profitieren viele Schweizer KMU. Zum Beispiel engagieren sie sich in den Umwelt- und Energietechnologien. Nicht wenige Innovationsparks in China sind von Schweizer KMU in der Schweiz konzipiert worden. Mit zunehmender Technologie werden höherwertige Güter und Dienstleistungen wichtiger. Auch hier können KMU aus den Alpen einen Vorteil vorweisen: Maschinen, Präzisionsinstrumente, Biotechnologie, Chemie, Komponenten und vieles mehr wird gefragt.

Doch über die Chancen des «kommunistischen» Chinas ist schon oft berichtet worden. Wie steht es mit den anderen BRIC-Staaten? Ironischerweise sind es gerade die drei formell marktwirtschaftlichen Länder, die zurückgefallen sind.

Brasilien: bürokratisch 
und unsicher

Brasilien wollte sich mit der Fussball-WM der Welt präsentieren. Das gelang in nur sehr beschränktem Masse. Und nach dem Fest kam die Rechnung. Negative 0,6 Prozent Wachstum ist nur eines der vielen Zeichen der Schwäche. Hohe Inflation, tiefe Produktivität und teure Kapitaltransfers sind weitere Signale des Ungenügens. Das lässt sich alles auf eine erratische Politik zurückführen, die immer wieder, aber nie konsistent interveniert. Hoher Protektionismus macht es schwer, effizienter zu werden oder im Land zu investieren. Die Lektion ist klar: Regulierung bringt die Wirtschaft zum Erlahmen.

Brasilien verfolgt darüber hinaus eine aktive Devaluationsstrategie. D.h. um mehr zu exportieren, wird die Landeswährung Real künstlich vergünstigt. Dies passiert mittels einer Ausdehnung der Geldmenge. Und das wiederum verursacht Inflation. Und: Nicht nur wächst die Wirtschaft nur zaghaft (wenn überhaupt), sondern sie hat auch noch mit Geldentwertung zu kämpfen.

Indien und Russland

Regulierung und Protektionismus sind auch die Markenzeichen In­diens. Und zwar so weit, dass es – wie einst auch in der Schweiz – Zölle zwischen den Bundesstaaten gibt. Überhaupt ist die übermässige Regulierung (und nicht das problematische Bildungssystem) die grösste Barriere für Indiens Entwicklung. Die Euphorie der 2000er Jahre war bloss ein Strohfeuer.

Richtig: Einige Grosskonzerne haben sich etabliert. Tata mit seinen Automobilen, Computern und Hotels ist ein Beispiel dafür. Aber mit einigen Grossunternehmen alleine ist noch kein Land aufgebaut. KMU – einheimische oder ausländische – haben Mühe, die Regulierung zu navigieren. Und bleiben dann auf der Strecke.

Russland ist anders. Das eurasiatische Riesenreich legte den Schwerpunkt seiner ökonomischen Entwicklung auf Rohstoffe. Erstens sind die wertvoll und zweitens geben sie dem Land einen geostrategischen Wettbewerbsvorteil. Diese Strategie ist gefährlich, weil sie zu wenig diversifiziert. Und so kam die russische Wirtschaft zum Stillstand, als die Preise für Öl oder Gas sich seitwärts entwickelten.

Die Erfahrung der in Russland tätigen Firmen ist ebenfalls: Bürokratie. Neben der offenen Präferenz des Staates für Grossunternehmen machen die Regulierungen es schwer, als KMU im Land erfolgreich zu sein. Das überträgt sich auf die gesamte Wirtschaftsdynamik.

Magere Bilanz?

Was ist also von den BRIC zu sagen? Die Euphorie um sie ist abgeklungen. Das ist eine gute Nachricht, weil Euphorie selten ein guter Ratgeber ist. Es soll jetzt aber keine Depression ausbrechen. Brasilien hat nach der Präsidentschaftswahl im Jahr 2014 Chancen auf Reformen. Indiens neuer Premierminister spricht von ökonomischer Modernisierung. Wenn Worte in Taten umgesetzt werden, können beide Länder wieder einen Schub erleben.

Aber Russland? Russlands Verfassung begegnet man am besten mit einer chinesischen Weisheit: «Zu früh zum Beurteilen».

Henrique Schneider,Ressortleiter sgv

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