Publiziert am: 21.10.2016

«Dummes, unüberlegtes Eigentor»

ÜBERHASTETER ATOMAUSSTIEG – Das Schweizer Physiker-Ehepaar Irene und Simon Aegerter setzt sich seit Jahrzehnten für Kernenergie ein. Ein überhastetes Abschalten der Schweizer Kernkraftwerke führe zu weniger, nicht mehr Sicherheit, sind sie überzeugt.

Die Schweiz hat die sichersten Kernkraftwerke der Welt. Das sagt die internationale Atomenergieagentur der UNO. Und das sagen die Stresstests der EU. Auch gegenüber französischen AKW sind die Standards in der Schweiz höher. Das überhastete Abschalten der Schweizer Kernkraftwerke ist insbesondere bezüglich der Sicherheit ein veritables Eigentor. Denn anstatt aus den sicheren Schweizer Werken würden wir Atomstrom aus französischen Anlagen importieren, die – wie japanische Reaktoren – punkto Sicherheit nicht mithalten können.

Nach der Katastrophe von Fukushima wurden die Sicherheitskonzepte auf der ganzen Welt überprüft, so auch in der EU. Diese organisierte sogenannte «Stresstests», an denen sich die Schweiz beteiligte. Dabei diente ein umfangreicher Fragenkatalog der Überprüfung aller Sicherheitsmassnahmen und aller Vorkehrungen gegen alle denkbaren Fehlfunktionen und Störungen von aussen.

«SCHWEIZER KERNKRAFTWERKE HALTEN SICH LAUFEND AUF DEM AKTUELLSTEN STAND DER TECHNIK.»

Der ausführliche Abschlussbericht über die Sicherheit der schweizerischen KKW enthält Passagen wie diese:

«Der schweizerische Bericht erfüllt die Vorgaben der Stresstest-Vorschriften. Er behandelt sämtliche Aspekte, die für die Beherrschung von schweren Unfällen als unverzichtbar betrachtet werden. Die regulatorische Behandlung der von den Betreibern vorgelegten Massnahmen und Beurteilungen war offen und in einigen Fällen recht ausführlich....»

Die Schweiz als Musterschülerin – Frankreich fällt ab

In diesem Ton geht es weiter und man kriegt den Eindruck, es handle sich hier um eine Form von «Kuschel-Justiz». Doch dieser Eindruck verfliegt sofort, wenn man sich die Beurteilung anderer Länder zu Gemüte führt. Da wird mit scharfer Kritik nicht zurückgehalten. So wird in Frankreich bemängelt, es sei nicht nachgewiesen, dass der Aufenthalt im Kontrollraum bei jedem denkbaren Unfallverlauf möglich wäre. Dieser Nachweis ist in der Schweiz erbracht – und trotzdem gibt es zu jedem Kontrollraum einen Reservekontrollraum, der besonders geschützt und gesichert ist.

Japan schlug Schweizer 
Empfehlungen in den Wind

Dieser hohe Stand der Sicherheit in der Schweiz ist nicht zuletzt das Verdienst der Aufsichtsbehörden mit dem Vieraugenprinzip zwischen ENSI (früher HSK) und KNS (früher KSA). In gut schweizerischer Tradition hat man seit jeher die besonders kritischen Kreise mit einbezogen. Sie haben dafür gesorgt, dass niemals ein Gefühl der Selbstgefälligkeit aufkommen konnte.

«EIN ÜBERSTÜRZTES ABSCHALTEN IST DAS GEGENTEIL VON GRÜN. ES IST SCHLICHT DUMM.»

So haben die Kernkraftwerke in der Schweiz immer wieder nach den neusten Erkenntnissen nachgerüstet und sich laufend auf den aktuellsten Stand der Technik gebracht. Schweizer Kraftwerke waren unter den ersten, die Entlastungsventile einbauten. Es waren Schweizer Kraftwerke, die mit eigens entwickelten Anlagen Wasserstoff, der bei der Erhitzung von Brennstäben entsteht, systematisch und gefahrenlos katalytisch verbrannten. Diese sogenannten «Wasserstoff-Rekombinatoren» haben die Schweizer auch den Japanern angeboten. Die hielten das nicht für nötig. Das Unglück in Fukushima konnte gerade auch wegen dieser Mängel erst so schwerwiegend ausfallen.

Schweiz ist international Benchmark für Sicherheit

Die Schweiz macht international Druck, dass die Sicherheitsstandards weltweit angehoben werden. So machte der Direktor des ENSI, Hans Wanner, bei der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) den Vorschlag, die «Convention on Nuclear Safety» entsprechend zu verschärfen:

«Kernkraftwerke sollen so geplant und gebaut werden, dass Unfälle vermieden werden und, sollte ein Unfall geschehen, dass die Folgen beherrschbar sind und die Freisetzung radioaktiver Materialien, welche die Umwelt langfristig kontaminieren, verhindert wird. Damit angemessene Möglichkeiten zur Verbesserung der Sicherheit gefunden und umgesetzt werden können, sollen diese Zielsetzungen auch auf bestehende Werke angewendet werden.»

«KRITIKER WuRDEN HIER IMMER EINBEZOGEN. DARUM ENTSTand nie eIN GEFÜHL DER SELBSTGEFÄLLIGKEIT.»

Das ist international längst nicht für alle selbstverständlich. In einer vorberatenden Kommission zeigte sich, dass dieser Vorschlag niemals die nötige Einstimmigkeit erreichen würde. Offenbar war die Forderung, auch bestehende Kraftwerke nachzurüsten, für einige Länder besonders unzumutbar. Schliesslich fand die «diplomatische Konferenz» vom 9. Februar 2015 einen Weg. Sie beschloss «durch Konsens», den Vorschlag der Schweiz in eine «Erklärung von Wien» zu verpacken und der Schweiz für ihren Vorstoss zu danken. Die Erklärung ist eine Empfehlung, aber nicht verbindlich, wie es die Verschärfung der «Convention» gewesen wäre.

Mehr Strom aus ausländischen KKW – ist das wirklich besser?

Es ist grotesk: Die Initianten der Atomausstiegsinitiative werben mit mehr Sicherheit. Das überstürzte Abschalten von Schweizer Kernkraftwerken würde jedoch dazu führen, dass wir insbesondere im Winter mehr Strom aus ausländischen Kernkraftwerken beziehen müssen. Aus Kernkraftwerken, die die Schweizer Standards nicht erfüllen. Das ist definitiv keine Verbesserung der Sicherheit und genau so schlimm ist es, Strom aus dreckigen Kohlekraftwerken zu importieren. Das ist das Gegenteil von Grün: ein dummes und unüberlegtes Eigentor.

Irene und Simon Aegerter, Physiker

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