Publiziert am: 20.01.2017

Mausallein, gefangen im Endlos-Loop

BÜROKRATIE – Ein simples Beispiel aus dem IT-Bereich zeigt auf, wie empfindlich kleine KMU in Sachen Regulierung sind – und wie sie oft allein gelassen werden.

Es klang wie ein Hilferuf, das Mail, das im Dezember beim Schweizerischen Gewerbeverband sgv einging. Ludwig Binkert, Chef eines Kleinverlags im solothurnischen Dornach, wollte seinen «Frust bezüglich Verwaltungsaufwand» mitteilen – und zwar gleich dem Chef persönlich. «Ich bin Kunde von BDO», schrieb der Mikrounternehmer an sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler. «Diese erlauben den Zugriff auf die Abacus-Software für die Buchhaltung via Suisse ID. So weit, so gut. Nun aber hat ­Suisse ID nach drei Jahren meinen Zugriffsstick ablaufen lassen, was im Begleitschreiben und in den Unterlagen nirgends vermerkt war. Auf meine Reklamation antwortete man, ich hätte Mails mit einem entsprechenden Hinweis erhalten.»

Kompliziert – und teuer

Binkert wusste nichts von einer solchen Mail und sagt gegenüber der Schweizerischen Gewerbezeitung: «Angesichts all der Spams, die heute per Mail in der Welt herumgeistern, wäre bei einer so wichtigen Angelegenheit wie einem neuen Zugriff auf Suisse ID ein brieflicher Hinweis wohl eher angebracht statt einer simplen Mail.»

Sei’s drum: Binkert bestellte also eine neue Suisse ID, «Kosten notabene 147 Franken; beim ersten Mal war’s gratis», installierte sie – doch das Teil funktionierte nicht. «Mit Support der Post und einem Zeitaufwand von einer Dreiviertelstunde sind wir dann so weit gekommen, dass es eine Fehlermeldung beim Link von BDO auf Abacus gab.» Binkert meldete das Problem per Abacus-Hotline – und wurde von dort an BDO verwiesen ...

«Meines Wissens gibt es Suisse ID seit vielen Jahren, sie war aber kein Erfolg», schreibt der Kleinverleger und Chef von fünf Mitarbeitenden. Binkerts Firma betreut drei Fachzeitschriften, unter anderem die «Schweizer Holzrevue», und besteht seit 2005. «Ich habe noch nie etwas so Kompliziertes gesehen wie den neuen Zugang zu Suisse ID», sagt Binkert und betont, dass er bei Weitem kein technischer Analphabet sei. «Es kann doch nicht sein, dass einem keiner helfen kann und dass einer allein im Schilf steht bei einer Angelegenheit, die doch den betrieblichen Alltag erleichtern sollte ...»

Sorge zu den «Kleinen» tragen

Wer in dieser Sache was hätte besser machen können und ob sich das Problem – dank dem Support der Post wurde es schliesslich gelöst – hätte verkürzen lassen, kann im Nachhi­nein nicht festgestellt werden. Sicher aber ist: Gerade Kleinfirmen wie Binkert Publishing – sie verfügt weder über eine eigene IT-Abteilung noch über Rechtsberater oder andere 
Troubleshooter – sind auf einwandfrei funktionierende Systeme angewiesen; dies gilt nicht nur für die Buchhaltung.

«ICH HABE NOCH NIE ETWAS SO KOMPLIZIERTES GESEHEN.»

Um den Bogen zur Politik zu schlagen: Über den betrieblichen Alltag hinaus sind solche Mikrounternehmen ganz besonders empfindlich, wenn es um Bürokratie geht. Dies ist denn auch der Grund, weshalb der Kampf gegen überbordende Regulierungen zum absoluten Kerngeschäft des Schweizerischen Gewerbeverbands gehört. «Hier können wir ganz konkret dazu beitragen, unseren KMU das Leben zu erleichtern und es ihnen ermöglichen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, nämlich die Arbeit in ihrem eigenen Kerngeschäft», sagt Gewerbedirektor und Nationalrat Hans-Ulrich Bigler. Und genau deshalb sei es wichtig, so Bigler weiter, dass alle Akteure – ob Regierung, Gesetzgeber oder Verwaltung – sich immer wieder vergegenwärtigten, dass es keine «one fits all»-Regulierungen geben dürfe. «Ansonsten leiden die KMU ganz besonders.»En

DIGITALISIERUNG

E-ID statt Suisse ID?

Die Suisse ID wurde unter der Schirmherrschaft des SECO entwickelt und galt bisher als Schweizer Standard fĂĽr sichere

Authentifikation und elektronische Signatur. Doch nicht alle sind ob des Millionen-Projekts zufrieden. «Zu teuer, zu umständlich und leider nicht mehr als ein Experiment, das gut gemeint war», lässt sich der St. Galler FDP-Nationalrat und Digitec-Gründer Marcel Dobler im «SonntagsBlick» zitieren. Der künftige Präsident des Informatikverbands ICT Switzerland macht sich stark für eine Art digitale Identitätskarte (E-ID) und fordert, dass sich die massgeblichen Player zusammentun, um einen elektronischen Identitätsausweis zu erarbeiten. Die Schweiz sei reif für ein solches Projekt, so Dobler: «Wenn wir das schnell umsetzen, haben wir einen riesigen Vorteil gegenüber dem Ausland.»

Offenbar arbeitet das lettische Start-up Notakey bereits an einer Konzeptstudie für eine alternative Suisse ID. Den Auftrag habe das Start-up von UBS, Swisscom und Credit Suisse erhalten, schreibt der «SonntagsBlick».En

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