Publiziert am: 20.11.2015

Rezepte gegen aggressives Abwerben

Tribüne

Vor wenigen Tagen vermeldete die NZZ, der Weltenergierat gebe unserem Land Spitzennoten im Ranking betreffend das sogenannte «Energie-Trilemma»: Versorgungssicherheit, Umweltschutz, Bezahlbarkeit! Offenbar rangieren wir weltweit auf Platz 1. Das freut uns doch – allen Schlechtrednern zum Trotz. Vor allem unsere Grünen finden ja, die Industrie sei noch längst nicht «Musterknabe» punkto Umweltschutz. Die SP wiederum propagiert, die Löhne müssten im unteren Lohnsegment steigen sowie die Steuern im oberen Segment erhöht werden, und Teile der SVP sind überzeugt, eine Begrenzung der Nettozuwanderung von Fachkräften bei netto rund 40 000 Personen (wohlverstanden inklusive Flüchtlinge!), sei die Obergrenze…

Gründe für die Desindustrialisierung

I n der Summe macht es das für unsere Industrie unglaublich schwierig, weiterhin in der Schweiz zu verbleiben und in unserem Land zu produzieren. Die Rahmenbedingungen verschlechtern sich zusehends gegenüber ausländischen Standortmitbewerbern. Auch die viel geforderte Entbürokratisierung findet nur schleppend – und wenn überhaupt, dann nicht bedeutungsvoll statt. Hinzukommt, dass seitens des nahen Auslands aggressiv geworben wird, Firmen aus der Schweiz wegzulocken! Was es daher zu allererst braucht, sind ganz eindeutig mehr gemässigte und pragmatische Kräfte im Nationalrat und im Ständerat, die wieder die Kunst des Machbaren zum Mass aller Dinge erheben und nicht nur Maximalforderungen zur Maxime erklären. Es droht eine Desindustrialisierung in der Schweiz mit einhergehendem Arbeitsplatz- und Wohlstandsverlust zugunsten anderer Länder – besonders zugunsten des ehemaligen Ostdeutschland. Wenn Unternehmen heute wegziehen und Arbeitsplätze im Ausland schaffen und nicht mehr in der Schweiz wachsen, so ist es viel zu billig, dies nur mit dem hohen Schweizer Franken erklären, ja schönreden zu wollen. Wettbewerbsfähigkeit für unseren Standort umfasst viele Kriterien, der starke Franken ist für die Exportindustrie nur EIN Faktor, teilweise jedoch längst nicht der gewichtigste.

Aggressives Standortmarketing 
seitens des ehemaligen Ostblocks

Schweizer Unternehmer berichten, dass Industrieland im ehemaligen Ostdeutschland für wenige Euro pro Qua­dratmeter zu haben sei. Dafür verlangten Kreditgeber lediglich 10 Prozent Eigenkapital, 90 Prozent Fremdkapital würden dem Unternehmer gewährt, und notfalls bürge der Staat für das Unternehmen bei der Bank für Kredite. 40 Prozent sämtlicher Investitionen werden offenbar zudem durch das entsprechende Bundesland finanziert, so dokumentieren Industriebetriebe mit Fakten und schriftlichen Beweisen glaubwürdig. Unternehmenssteuern liegen die ersten Jahre tief oder fallen zuerst ganz weg. Verpflichtung für den Unternehmer: fünf Jahre keinen Standortwechsel, und pro Investition von subventionierten 500 000 Euro muss mindestens ein Arbeitsplatz geschaffen werden. Und all das wird offenbar durch die Standortförderung des Bundeslandes organisiert – kundennah, dienstleistungsorientiert. Unternehmer nennen zum Beispiel das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Mitfinanziert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Europäischen Sozialfonds (ESF). Nun können wir mit Fug und Recht entgegnen, dass das ehemalige Ostdeutschland eben seit der Wende bis heute noch immer Mühe habe, Unternehmen und Industrien anzulocken und daher aggressiv subventioniere. Besonders uns Liberalen ist es ja unwohl bei so viel Staat und so wenig Eigenmitteln… Hier stösst jedoch die «reine liberale Lehre» an die Grenzen der neuen Realitäten und Gefahren für die Schweizer Wirtschaft. Denn Ideologien greifen zu kurz und nützen der Schweiz wenig! Sollte die Desindustrialisierung in der Schweiz nicht gestoppt werden können, droht ein Arbeitsplatz- und Wohlstandsverlust für uns alle, der ungemütlich sein wird. Sehr ungemütlich. Diese Problematik aktiv, pragmatisch und über Parteigrenzen hinweg anzugehen, habe ich mir bereits für die erste Session der neuen Legislaturperiode vorgenommen. Ich zähle dabei auf die Unterstützung des sgv.

*Doris Fiala ist Präsidentin des Kunststoffverbands Swiss Plastics und Mitglied der Gewerbekammer des sgv.

Die Tribüne-Autoren geben ihre eigene Meinung wieder; diese muss sich nicht mit jener des sgv decken.

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