Publiziert am: 10.06.2016

Sie sind immer die Letzten im Tunnel

AMATIC AG – Die Spezialisten für Betriebs- und Sicherheitsanlagen setzen auf ein enges Vertrauensverhältnis zu ihren Kunden und den Einsatz von absolut neuster Technologie.

Speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS) für industrielle Zwecke wie Kälte- oder Lüftungsmaschinen in Tunnels... Wo ein Laie nur noch Bahnhof versteht, da fängt die Welt der AMATIC AG mit Hauptsitz in Inwil/LU erst richtig an. Es geht aber auch konkreter. Am 1. Juni wurde der Gotthard-Basistunnel als Teil der NEAT offiziell eröffnet. Bis zur Inbetriebnahme im Dezember 2016 werden die SBB noch zahlreiche Testfahrten durchführen. Bereits jetzt tragen hochspezifische Steuerungen und Leitsysteme von AMATIC AG in den Bereichen Kälteanlagen, Brandmeldeanlagen und Raumlufttechnik zur Sicherheit im Tunnel und zu einem optimierten Klima bei. «Dieses Projekt hat uns an die Grenzen getrieben», sagt Marcel Gurtner, Geschäftsführer der AMATIC AG.

«Die Hauptarbeit war es, Vertrauen zu schaffen.»

Gurtner ist gelernter Elektrozeichner. Er absolvierte ein Ingenieurstudium in Elektrotechnik und schloss 1996 ein Nachdiplomstudium in Unternehmensführung ab. Nach einem Jahr Vorbereitung wurde die AMATIC AG im Jahr 1998 gegründet. Dank Fleiss, schnellem Vertrauensgewinn bei den Kunden und, wie Gurtner selber sagt, einer Portion Glück, gelang es der Firma, sich in relativ kurzer Zeit zu etablieren. «Die Hauptarbeit war es, Vertrauen zu schaffen», sagt Gurtner rückblickend. «Ich wollte die Innovationskraft permanent ins Büro nehmen. Meine Strategie lautet: ‹me too›.» «Me too», das bedeutet schneller und günstiger zu sein, aber auch eine höhere Qualität, neuste Technologie und eben – Vertrauen schaffen. Der Gewinn werde zu 100 Prozent reinvestiert und das Wachstum nur mit eigenen Mitteln vorangetrieben.

«Europäisierung» in drei Schritten

Das KMU aus dem Luzerner Seetal beschäftigt heute 28 Mitarbeiter. Zwei Niederlassungen gehören zum Unternehmen. Darunter eine im tschechischen Jílovište sowie die Elektro Oftringen AG im gleichnamigen Ort. Seit 2003 fungiert die Unternehmung auch als Lehrstätte. Angeboten werden Lehrstellen als Informatiker, Kaufmann/Kauffrau und Elektroplaner. Für Marcel Gurtner ist die Ausbildung eine Investition in die Zukunft. «Wir leisten unseren Beitrag an die Ausbildung der jungen Generation. So haben wir Fachkräfte aus den eigenen Reihen.»

Die Ausbildung schreitet auch in Jílovište voran. Es ist der erste Schritt einer ostwärts gerichteten Entwicklung. Gurtner kontaktierte mehrere Universitäten, um die geeigneten jungen Leute in der Tschechischen Republik zu finden. Denn aus dem Projekt am Basistunnel hat Gurtner eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Einerseits brauche man gut ausgebildete Arbeiter für die Software, auf der anderen Seite seien auch kommunikative Menschen «mit einem breiten Rücken» sehr wichtig. In Tschechien sind die Verhältnisse stabil und die jungen Fachkräfte geniessen eine gute Ausbildung. Ideal für seine nächsten grossen Ziele. Im Osten ortet Gurtner generell ein grosses Potential. Zu dieser von ihm «Europäisierung» genannten Osterweiterung sagt Gurtner: «Das ist eine Chance für uns. Wir haben das Know-how und vor Ort die jungen, lokalen Ingenieure.» Der zweite ­grosse Schritt sei das Abchecken des Marktes. Dies funktioniere nur über die EU, indem man sich ein Netzwerk aufbaut. Die eigentliche «Europäisierung» möchte Gurtner dann im Jahr 2018 als dritten Schritt angehen.

Digitalisierung birgt Chancen und Risiken für KMU

Innovation bringt AMATIC AG dank neuster Technologie ins Spiel. Da ist der Begriff Digitalisierung natürlich bekannt. Darauf angesprochen meint Marcel Gurtner: «Es ist immer Zeit, neue Systeme einzusetzen.» Für ihn ist das Mitgehen in Sachen Digitalisierung «ein Muss». Das sei nicht bei allen Betrieben so. «Viele müssen langsam, aber sicher ans Investieren denken.» Bestehende Systeme würden abgelöst, erneuert und erweitert. Aber dennoch berge auch dieser Fortschritt Risiken. «Es ist gefährlich für eine kleine Unternehmung, wenn zeitaufwändig und zu intensiv entwickelt wird.» Das heisst, dass richtige Entscheidungen getroffen werden müssen. Entweder selber entwickeln oder abwarten. AMATIC darf sich als Pionier sehen. «Wir waren die erste Firma mit einem webfähigen Leitsystem, welches nicht nur Infos anzeigte, sondern auch Befehle absetzen konnte», sagt Gurtner.

«Dann arbeiten wir halt in Licht-
geschwindigkeit.»

Der Gotthard ist aktuell in aller Munde. Ein regelrechter Mythos ist der Berg, in dessen Innern der längste Eisenbahntunnel der Welt entstanden ist. Dementsprechend stolz sind die Firmen und ihre Mitarbeiter, die bei diesem Jahrhundertbauwerk ihren Teil dazu beitragen durften. Die AMATIC hat ein Angebot gemacht, um mit ihren spezifischen Steuerungen und Leitsystemen in den Bereichen Kälteanlagen, Brandmeldeanlagen und Raumlufttechnik zur Sicherheit im Tunnel und zu einem optimierten Klima beizutragen. Dennoch waren die Inwiler überrascht, als sie den Auftrag wirklich erhielten. Es sei ein Projekt, das um Faktoren grösser sei als alles andere zuvor. In fünf grossen Tunnelprojekten war die AMATIC AG seit 2008 dabei. «Plötzlich habe ich das realisiert: Mein Gott, wir sind in den grössten Tunneln», erinnert sich Gurtner. Der Gotthard überstrahle alles. «Die Politik schlägt so viel aus diesem Projekt heraus, da merkt man schon, wie wichtig dieser Bau ist.» Deshalb sei die Beteiligung an diesem Grossprojekt auch emotional sehr wertvoll.

Schweizer Pünktlichkeit und tschechischer Stolz

50 Ingenieure, Informatiker und Sachbearbeiter haben während vier Jahren unter besonderen klimatischen Verhältnissen 50000 Arbeitsstunden geleistet. Während des Projekts seien die Feedbacks seiner Mitarbeiter unterschiedlich gewesen. «Es war eine sehr hohe Belastung und ein enormer Zeitdruck, aber alle sind stolz, dabei gewesen zu sein», erzählt Marcel Gurtner. «Vor allem die tschechischen Ingenieure zeigen das bei jeder Gelegenheit.»

«Wir leisten unseren Beitrag an die Ausbildung der jungen Generation.»

Jede Medaille hat aber auch eine Kehrseite. «Wir sind immer die Letzten im Tunnel», erklärt Gurtner. «Die Steuerung kommt immer zuletzt. Manchmal haben wir halt so gut es geht in Lichtgeschwindigkeit gearbeitet.» Die Termine liessen sich nicht einfach verschieben. Wenn irgendwo Verzögerungen auftraten, dann «wurde das auf den Rücken meiner Mitarbeiter abgewälzt. Aus meiner Sicht ist das nicht fair», bedauert er. Genau deshalb seien kommunikative Persönlichkeiten in seinem Unternehmen umso mehr gefragt.

In diesem Jahr werden im Basistunnel für AMATIC-Mitarbeiter noch einige Arbeiten anstehen. Danach wird für das KMU wieder etwas Normalität einkehren und die «Europäisierung» kann angestrebt werden.

Adrian Uhlmann

In Kürze

Die AMATIC AG

AMATIC AG ist spezialisiert auf industrielle Steuerungen. Das inhabergeführte Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Inwil/LU und Niederlassungen in Oftringen und Jílovište (Tschechien). Es beschäftigt 28 Mitarbeitende. Zu den Kunden gehören der Bund (ASTRA, SBB), Kantone, Gemeinden und Generalunternehmer.

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