Publiziert am: 20.03.2015

Starker Franken macht «Bauchweh»

GRANITBERgWERK BIGNASCA SA, LONDRINO – Mit Entschlossenheit und ein wenig Philosophie führt Lorenza Bignasca in fünfter Generation ein Tessiner Familien-KMU, das seit 1896 Granit abbaut und bearbeitet.

Passion, Entschlossenheit und ein Schuss Philosophie sind die Führungsinstrumente, mit denen Lorenza Bignasca mit Unterstützung ihres Vaters den Familienbetrieb mit seinen 25 Mitarbeitenden leitet. Mit Respekt bearbeiten sie den Berg, um an den begehrten Tessiner Granit zu gelangen. «Als kleines Mädchen durfte ich mit meinem Vater mit dem mit Granitblöcken beladenen Lastwagen zum Bahnhof fahren. Dort ‹nahmen› unsere Steine den Zug – das war ein prägender Moment!» Von einem familiären «Granitvirus» zu sprechen, käme im Fall der Bignascas fast einem Euphemismus gleich. Denn mit Lorenza ist bereits die fünfte Generation am Ruder des KMU, das den bekannten «Iragna-Granit», benannt nach dem gleichnamigen Dorf nahe Biasca, abbaut und bearbeitet.

«Vor allem die Deutschschweizer schätzen den Rohstoff aus dem Tessin.»

«Es ist eine lange Geschichte; seit 120 Jahren geht unsere Familie hier dem Geschäft mit Granit nach», erzählt die Padrona. Alles begann 1896 mit Anselmo Bignasca. «Er hatte auf der Baustelle des Suez-Kanals gearbeitet, kehrte dann mit dem Schiff nach Italien zurück und marschierte von dort einen Monat lang zu Fuss heim ins Tessin.» Während einer seiner Söhne als Steinhauer in Sonvico und Lugano arbeitete, eröffnete Anselmo zusammen mit dessen Bruder Francesco einen Steinbruch in Lodrino. Von da an ging das Unternehmen vom Vater auf die Söhne über bis hin zu Adriano, dem Vater von Lorenza. Dieser gründete das KMU in seiner heutigen Form 1959.

Gefragter Rohstoff

Die schönsten und besten aus dem Berg gebrochenen Granitblöcke werden verkauft und dann in Platten zerteilt, die im Aussen- und Innenausbau Verwendung finden, beispielsweise als Arbeitsflächen in der Küche. Aus kleineren Blöcken lassen sich fast alle Arten Oberflächen wie etwa Fussböden für Flughäfen, Metrostationen, Schwimmbäder oder Treppen herstellen. Aus dem restlichen Granit entstehen Stücke nach Bedarf: Pflastersteine, Strassen- und Trottoirrandsteine, Tische, Brunnen usw. Das gesamte aus dem Berg gebrochene Material wird wiederverwendet, vom grössten Brocken bis hin zum kleinsten Kiesel.

 

Auf Dauerhaftigkeit ausgelegt

Bei der Bignasca SA wird der einzigartige Rohstoff maschinell, aber auch noch nach alter Handwerksmanier bearbeitet. Die vorbereiteten Granitblöcke für die Feinverarbeitung verschickt das Unternehmen nach Italien, Deutschland, Belgien, Holland und bis nach China – hinzu kommt der bedeutende einheimische Markt. Beliefert werden auch einige Baumaterial-Firmen in der Romandie, doch: «Vor allem die Deutschschweizer schätzen den Rohstoff aus dem Tessin», weiss Lorenza Bignasca. «Sei es wegen Trends in der modernen Architektur oder weil mehr Wert auf Materialien heimischer Herkunft gelegt wird.» Langfristig, so lautet das Hauptkonzept in der Welt des Granits. «Das ist auch unsere Art, sich dem Berg zu nähern, ihn zu studieren, den Stein mit Vorsicht und Respekt herauszuholen, ihn zu reinigen und zu sortieren», erläutert die KMU-Chefin. «All das dauert Jahre.» Für die Bürokratie sei das manchmal schwierig zu verstehen. «Wir bevorzugen denn auch Verträge, die es erlauben, unsere Aktivitäten auf Dauerhaftigkeit auszulegen», betont sie.

«Wir arbeiten ohne der Natur Schaden zuzufügen, und wir verwenden nur den Rohstoff, der bereits vorhanden ist.»

A propos Dauerhaftigkeit: Einer der Angestellten feierte kürzlich sein 50-Jahre-Jubiläum in der Firma. «Er begann 1964 bei uns und wollte nicht in den Ruhestand treten. Ihm war derart viel daran gelegen, im Unternehmen aktiv zu bleiben, dass wir ihm einen Spezialvertrag gegeben haben. Er regelt das Beladen der Lastwagen und den Eingang der Bestellungen und arbeitet in seinem Rhythmus, eben dann, wann er will,» schmunzelt Lorenza Bignasca, die sich vor ihrem Wechsel ins Management den Geisteswissenschaften verschrieben hatte.

Führen durch Überzeugung

Wie organisiert die Padrona ihren Arbeitsalltag? «Ich kümmere mich um alles, vom Abbau bis zum Verkauf, die Arbeiten im Labor, die Planung der Produktion und das Personelle», bilanziert sie. Die Buchführung erledige sie zusammen mit einer Hilfe. «Ein Arbeitstag besteht vor allem darin, Probleme zu lösen, etwa eine kaputte Maschine zu ersetzen oder Werkzeuge einzukaufen, und natürlich in der Betreuung der Kundschaft. Weil wir eine durchorganisierte Equipe sind, weiss jeder, was er zu tun hat.»

Ihren Führungsstil bezeichnet Lorenza Bignasca als «Management durch Überzeugung», denn es ist kein Beruf, den sie in der Schule gelernt hat. «Ich denke, ich habe ein Flair dafür, mit einer Facette menschlicher Wärme, was auch für die Kontakte wichtig ist. Hinzu kommen ein bisschen Philosophie, Respekt und Ethik – gegenüber dem Berg und gegenüber der Kundschaft.»

Ziele und Probleme

Als einzige Frau in einer männlichen Umgebung beurteilt die Chefin ihre Zusammenarbeit mit Männern als «im Endeffekt einfacher, denn sie sind weniger kompliziert als Frauen». Ist es schwierig, in einer Männerwelt Karriere zu machen? «Viele haben mir bereits zu Beginn ihr Vertrauen geschenkt; mit der Zeit ist es noch gewachsen. Und wenn es heute Probleme zu lösen gilt, diskutieren wir das in aller Ruhe. Generell versuche ich, jeden Tag etwas dazuzulernen. Ein bisschen Demut gehört auch dazu, denn ich glaube, das ist in allen Lebensbereichen wichtig.»

Wie sieht Lorenza Bignasca die Zukunft ihres Unternehmens, und mit welchen aktuellen Gegebenheiten und Herausforderungen hat die Granitgewinnungsbranche zu kämpfen? «Unser Ziel ist es, zu gedeihen, es wenn möglich immer besser zu machen und weiterhin für das Wohlbefinden aller zu sorgen. Doch ich möchte auch dieses wundervolle schweizerische Naturprodukt noch besser bekannt machen», erläutert die Padrona. Man warte auf einen Entscheid des Kantons zu einer Vorlage zur Regulierung des Granitabbaus. Zurzeit überprüften die Behörden Fragen der Abbaumethoden und der Grundbesitzverhältnisse bei Körperschaften. «Natürlich gibt es das politische Gerangel und auch den üblichen Druck der Umweltorganisa­tionen, die unsere Region am liebsten auf den Stand eines Schutzreservats reduzieren möchten.»

«Wir müssen Massnahmen ergreifen, damit der Markt offen bleibt. Wir sind nur 40 Km von der Grenze weg.»

«Doch», stellt Bignasca energisch klar, «wir arbeiten, ohne der Natur Schaden zuzufügen, und wir verwenden nur den Rohstoff, der bereits vorhanden ist.» Sorgen macht der Unternehmerin die Aufhebung der Bindung des Frankens an den Euro. «Die letzten Wochen waren katastrophal. Natürlich sind wir davon betroffen, insbesondere auf dem italienischen Markt. Unsere Kunden haben einen fixen Preis, und nun sollten sie plötzlich mehr bezahlen. Wir müssen Massnahmen ergreifen, damit der Markt offen bleibt. Schliesslich sind wir nur 40 km von der italienischen Grenze entfernt.»

 

François Othenin-Girard

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