Publiziert am: 24.04.2015

«Wichtig für die Schweiz»

JÜRG RÖTHLISBERGER – Der neue Direktor des Bundesamts für Strassen ASTRA ist ein entschiedener Befürworter einer zweiten Tunnelröhre am Gotthard. Nicht nur wegen der Sicherheit.

Schweizerische Gewerbezeitung: Welche Bedeutung hat der Gotthard-Strassentunnel im schweizerischen Verkehrssystem?

n Jürg Röthlisberger: Die Transitrouten durch die Alpen gehören zu den Lebensadern unseres Landes. Der Gotthard-Strassentunnel garantiert Bevölkerung und Wirtschaft eine ganzjährige Verbindung zwischen Nord und Süd. Der Bau einer zweiten Röhre stellt sicher, dass die Gotthardachse auch während den regelmässigen Sanierungen des alten Tunnels strassenseitig offen bleiben kann. Das ist für das Tessin und die Schweiz von herausragender Bedeutung: Es gehört zum Wesen unseres Landes, alle Regionen mittels leistungsfähiger Verkehrsinfrastrukturen gut miteinander zu verbinden.

«EINE SANIERUNG OHNE ZWEITE RÖHRE FÜHRT ZU GRAVIERENDEN PROBLEMEN.»

Und was bedeutet er für die Volkswirtschaft?

n Er ist sowohl für die schweizerische wie auch für die regionalen Volkswirtschaften von grosser Bedeutung. Funktionierender Personen- und Güterverkehr innerhalb der Schweiz und mit den europäischen Nachbarn sind entscheidende Voraussetzungen für Wohlstand, Wohlfahrt und wirtschaftliche Prosperität unseres Landes und seiner Regionen.

Was wären die Folgen für den nationalen und regionalen Stras­senverkehr, wenn der Gotthard-Strassentunnel saniert wird, ohne dass eine zweite Tunnelröhre zur Verfügung steht?

n Der bestehende Tunnel lässt sich grundsätzlich auch ohne zweite Tunnelröhre sanieren. Ohne die zweite Röhre aber müssen wir unseren Kundinnen und Kunden, der Wirtschaft und dem Tourismus extrem schwierige verkehrliche Zustände zumuten. Und dies während mindestens zweieinhalb Jahren. Eine Sanierung ohne zweite Röhre wäre mit gravierenden Problemen verbunden: Zum einen würde die Strassenverbindung durch den Gotthard für mehrere Jahre unterbrochen, zum andern müsste für Autos und Lastwagen ein aufwendiger Bahnverlad eingerichtet werden.

«WAS TUN KÜNFTIGE GENERATIONEN, WENN WIR IHNEN HEUTE NICHT HELFEN?»

Die Gegner einer zweiten Tunnelröhre verlangen genau dies: Während der Gotthard-Sanierung soll auf beiden Seiten je ein Verlade-Provisorium eingerichtet werden. Wäre dies eine valable Alternative zu einer zweiten Röhre?

n Die Beeinträchtigungen vor Ort wären enorm: Allein für die Lastwagen-Verladeanlagen im Norden und Süden bräuchte es Flächen von insgesamt 19 Fussballfeldern sowie Warteräume auf den Zufahrtsstrecken.

Eine Sanierung ohne zweite Röhre und der damit verbundene Bahnverlad wären also mit grossen Unwägbarkeiten verbunden. Finanzielle Gründe sprechen ebenfalls dagegen. Da die Verladeanlagen nach der Sanierung wieder abgebaut werden müssten, wären die Investitionen verloren. Dabei dürfen die kommenden Sanierungen alle rund 30 Jahre keinesfalls ausgeblendet werden.

«INVESTITIONEN IN VERLADEANLAGEN SIND VERLORENES GELD.»

Verladestationen stossen auf massiven Widerstand sowohl in Uri wie auch im Tessin. Würde die Ladekapazität einer «rollenden Landstrasse» überhaupt ausreichen, den Verkehr bei einer Vollsperrung aufzunehmen?

n Für den PW-Verkehr liesse sich eine leistungsfähige PW-RoLa durch den Bahnscheiteltunnel einrichten, ohne dass neue grosse Verladeflächen erforderlich würden. Für den LKW-Verlad hingegen sind alle 
30 Jahre enorme temporäre Verladeflächen zu erstellen und jeweils wieder zurückzubauen. Für die anstehende Sanierung scheinen die freien Trassen im NEAT-Basistunnel für eine leistungsfähige LKW-RoLa gerade noch auszureichen. Für weitere Sanierungen hingegen klar nicht. Was tun also künftige Generationen, wenn wir ihnen nun mit einer zweiten Strassentunnelröhre nicht helfen?

Der Gotthard-Strassentunnel wurde 1980 eröffnet. Wie haben sich die Sicherheitsstandards in den letzten 35 Jahren entwickelt?

n Die Sicherheitsaspekte werden laufend den technischen Anforderungen und den geänderten Normen und Standards als Folge der gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst. Deshalb ist auch eine Überholung des Sicherheitsdispositivs im Gotthard-Strassentunnel zwingend. Dabei geht es vor allem um die Frischluftzufuhr, die Brandlüftung, die Fluchtwegsignalisation, die Verkehrsleitsysteme und viele weitere Details.

Wie steht es heute um die Sicherheit im Gotthard-Strassentunnel und was würde eine zweite Tunnelröhre diesbezüglich bringen?

n Sicherheit ist nie eine absolute Grös­se. Sie beinhaltet immer auch die Frage der Alternative! Der Gotthard-Strassentunnel ist demnach insofern bereits heute ein sicherer Tunnel, weil die Alternativrouten (A13 San Bernardino, A9 Simplon und der Grand St. Bernard) als weniger sicher gelten. Zudem haben wir den Gotthardtunnel in den letzten Jahren so sicher gemacht wie irgendwie unter den gegebenen Rahmenbedingungen möglich. Die zweite Röhre bringt aber zusätzlich markant mehr Sicherheit: Sobald der neue Tunnel gebaut und der bestehende saniert ist, wird der Verkehr richtungsgetrennt geführt – mit je einer Fahrspur und einem Pannenstreifen pro Richtung. So können Frontal- und Streifkollisionen weitgehend vermieden werden.

«DIE ZWEITE TUNNELRÖHRE IST AUCH EINE INVESTITION IN DIE ZUKUNFT.»

Bremst der Bau einer zweiten Röhre am Gotthard andere Stras­senprojekte, insbesondere in der Westschweiz, aus?

n Nein. Der Gotthard-Strassentunnel muss saniert werden. Ein sicherer Betrieb wäre spätestens ab 2025 nicht mehr möglich. Die Alternative zur Sanierung ist die Schliessung. Egal ob mit oder ohne zweite Röhre: Die Sanierung des Tunnels ist ein Unterhaltsprojekt an einer bestehenden Nationalstrasse. Die Lösung des Bundesrates trägt dem Umstand Rechnung, dass auch künftige Generationen in regelmässigen Abständen vor derselben Frage stehen werden wie wir heute. Sie ist damit auch eine Investition in die Zukunft.

Interview: Gerhard Enggist

ZUR PERSON

Der gebürtige Berner Jürg Röthlisberger ist seit dem 1. März 2015 
Direktor des Bundesamts für Strassen (ASTRA). Der 51-Jährige hat die Nachfolge von Rudolf Dieterle angetreten, dessen Stellvertreter er seit 2012 gewesen war. Zuvor hatte er zehn Jahre lang die Abteilung Stras-seninfrastruktur des ASTRA geleitet.

Röthlisberger liess sich nach einer Lehre als Tiefbauzeichner zum Bauingenieur HTL und ETH ausbilden. Danach arbeitete er für eine Baufirma und ein Ingenieurunternehmen in der West- und der Ostschweiz. 1997 trat er in den Bundesdienst ein. Röthlisberger ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.

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