Publiziert am: 05.06.2015

«Üble Datenschutzmanie»

EVELINE KÜNG – «Ganze Generationen haben den Umgang mit Geld verlernt oder gar nicht ­gelernt», sagt die Präsidentin des Verbands Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute VSI.

Schweizerische Gewerbezeitung: Wie steht es 2015 mit der Zahlungsmoral in der Schweiz?

n Eveline Küng: Gemäss betriebsstatistischer Erhebung unseres Verbandes ist die Anzahl übergebener Inkassoaufträge um rund sechs Prozent angestiegen. Die Erfolgsquote ist ebenfalls angestiegen, nämlich um fast zehn Prozent. Dies heisst, dass wieder vermehrt Schulden abbezahlt werden. Gleichzeitig werden aber die Rechnungen vermehrt nicht mehr fristgemäss bezahlt.

Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?

n Die Gründe sind vielschichtig: Ein individuelles Budget wird heute mehrheitlich nicht mehr gemacht. Was eingenommen wird, wird ausgegeben. Der Konsum steht an erster Stelle, danach kommen die (notwendigen) Fixkosten. Das Leasing des Autos ist wichtiger als die Krankenkassenprämie. Das Kaufverhalten geht heute nach dem Motto: «Was will ich?», und nicht mehr: «Was hab ich und was brauch ich?» Ganze Generationen haben den Umgang mit Geld verlernt oder gar nicht gelernt. Hinzukommt auch die kulturelle ­Vielfalt in der Schweiz. Beides führt dann oft auch zu einer Überforderung beim Umgang mit Geld.

«FIRMEN ZAHLEN EHER ALS PRIVATE – SIE RISKIEREN AUCH MEHR.»

Wie unterscheidet sich die Zahlungsbereitschaft von Firmen von jener der Privatpersonen?

n Die Zahlungsbereitschaft von Firmen beurteile ich etwas höher. Immerhin riskieren diese mehr, droht ihnen letztlich doch der Konkurs und damit der Untergang ihrer Firma. Privatpersonen können dagegen ihre Zahlungsverpflichtungen vernachlässigen und ihre Gläubiger schlimmstenfalls mit einem Verlustschein abspeisen. Dies hat in der Regel für ihr Konsumverhalten keinen Einfluss.

«WIR GRENZEN UNS
VON DEN SCHWARZEN SCHAFEN AB.»

Die Inkassobranche ist nicht überall gut angesehen. Wie wehren Sie sich gegen schwarze Schafe innerhalb Ihres Berufsstands?

n Die im VSI Verband Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute organisierten Unternehmungen sind für das Inkasso von über 10 Milliarden Schweizer Franken zuständig. Jährlich kommen über 700 Millionen Franken dazu. Ohne die Tätigkeit der Verbandsmitglieder würde die schweizerische Volkswirtschaft unter massiven Zahlungsausfällen leiden.

Der VSI grenzt sich klar ab von sogenannten schwarzen Schafen. Unsere Mitglieder haben einerseits klare Standesregeln einzuhalten. Andererseits führen wir eine Beschwerdestelle. Als strengste Sanktion droht einem fehlbaren Mitglied sogar der Verbandsausschluss.

Wie können sich Private gegen Inkassoversuche zur Wehr setzen, die ihnen als ungerechtfertigt erscheinen?

n Ich möchte hier klarstellen, dass die meisten Inkassomassnahmen gerechtfertigt sind. Sollte jedoch jemand von einem Inkassobüro seiner Ansicht nach zu Unrecht angeschrieben werden, empfehle ich eine sofortige (telefonische, schriftliche oder via E-Mail vorgenommene) Kontaktnahme. Eine Nachfrage betreffend Forderungsgrund und gegebenenfalls das Verlangen von Forderungsdokumenten wird von seriösen Inkassobüros beantwortet. Sofern dies nicht gemacht werden sollte und das Inkassobüro Mitglied beim VSI ist, kann sich der Betroffene auch an die Beschwerdestelle wenden. Wichtig ist, dass angesetzte Fristen eingehalten werden, da die Inkassobüros in der Regel bei Nichteinhalten von Zahlungsfristen den Betreibungsweg einschlagen.

«IMMER MEHR GESETZLICHE SCHRANKEN BEHINDERN DAS GEWERBE.»

Welche Herausforderungen kommen auf die Schweizer Inkasso­firmen zu?

n Die zunehmenden gesetzlichen Schranken, insbesondere von Konsumentenseite her initiiert, bedeuten nicht nur für uns erschwerte Bedingungen, sondern sind auch höchst gewerbeunfreundlich. Als Beispiel können da vorab die Bemühungen für einen zunehmenden Datenschutz genannt werden: Unternehmen müssen immer häufiger Konsequenzen dafür tragen, wenn sie sich nicht vorgängig über die Solvenz ihres Geschäftspartners erkundigt haben, gleichzeitig wird ihnen aber die Möglichkeit, sich zu erkundigen, eingeschränkt.

Können Sie sich vorstellen, dass private Inkassofirmen öffentliche Gelder eintreiben?

n Absolut. Bereits heute lassen zahlreiche Gemeinden, öffentlich-rechtliche Anstalten und Institute über Inkassounternehmen ihre Ausstände einholen.

«DIE MEISTEN INKASSO-MASSNAHMEN SIND GERECHTFERTIGT.»

Welche der zurzeit in Bern anstehenden Politgeschäfte sind für den VSI besonders wichtig?

n Die Motion Rutschmann betreffend gewerbsmässiger Gläubigervertretung, die parlamentarische Initiative Joder betreffend Publikation von Erwachsenenschutzmassnahmen, aber auch die im Februar eingereichte Motion Schilliger betreffend Verursacherprinzip auch bei den Inkassokosten (vgl. Kasten), sind nur einige der wichtigen Politgeschäfte, welche zurzeit hängig sind. Hinzukommt dann eben auch die unselige Datenschutzmanie! Dies ist aber nicht nur für die Inkassobranche, sondern für die gesamte Wirtschaft ein riesiges Problem und von grosser Bedeutung.

Interview: Gerhard Enggist

 

ZUR PERSON

Eveline Küng ist bernische Fürsprecherin und Mediatorin. Sie leitet die beiden Familien-KMU Inkasso Küng AG und Creditreform Küng Bern AG. Sie ist ausserdem Mitglied bei der Eidgenössischen Kommis­sion für Schuldbetreibung und Konkurs. An der Generalversammlung wurde sie zur neuen Präsidentin des seit 1941 bestehenden Verbands Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute VSI gewählt. Sie löst den langjährigen Präsidenten Thomas Hutter ab.

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