Publiziert am: 17.02.2023

Persönliche Beziehung wichtig

LATEINAMERIKA – Politische Turbulenzen sind in Lateinamerika nichts Ungewöhnliches. Für KMU kannein wirtschaftliches Engagement dennoch interessant sein – wenn man sich gewissen Regeln bewusst ist.

Turbulente politische Übergänge scheinen das Markenzeichen Lateinamerikas zu sein. Unlängst erlebten wir den Versuch einer illegalen Machtübernahme durch Pedro Castillo in Peru, die ihm eine Gefängnisstrafe einbrachte. Dann gab es die Aufstände der Anhänger des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro in Brasilien. Politische Stabilität wie in der Schweiz gibt es in Lateinamerika nicht. Dennoch sind die wirtschaftlichen Aussichten interessant.

Lateinamerika stellt mit fast 700 Millionen Einwohnern 10 Prozent der Weltbevölkerung und erwirtschaftet rund 8 Prozent des weltweiten BIP. Die Länder haben sich im Mercosur als Binnenmarkt organisiert. Lediglich Venezuela wurde 2017 aufgrund seines repressiven Regimes ausgeschlossen. Wegen der Pandemie erlebte die Region im Jahr 2020 eine wirtschaftliche Schrumpfung von 7,4 %. Im 2021 gab es eine Erholung von 6,8 %.

Die Investitionsströme der Schweiz in Lateinamerika haben 2021 gemäss SNB um 11,5 Milliarden Franken zugenommen, nach einem katastrophalen Rückgang von mehr als 24,5 Milliarden Franken im Jahr 2020. Bereits 2019 gingen die Direktinvestitionen zurück – und zwar um 3,8 Milliarden Franken –, nachdem sie 2018 um 28,3 Milliarden Franken gestiegen waren.

Angesichts dieser Zahlen stellen sich mehrere Fragen: Hängt die Volatilität der Investitionen tatsächlich mit den politischen Turbulenzen zusammen? Ist es möglich, dass sich Schweizer Investoren so stark engagieren, aber auch bereit sind, ihre Gelder abzuziehen, wenn die Lage schwierig wird? Schwer vorstellbar ist auch, dass Lateinamerika mehr Direktinvestitionsgelder aus der Schweiz anzieht als China mit seinen 3 Milliarden Franken im Jahr 2021. Weshalb schneidet die «Werkstatt der Welt» schlechter ab als der amerikanische Subkontinent?

Die Antwort ist einfach: Die grossen Gelder fliessen in Offshore-Finanzzentren. Das Verhältnis basiert also offensichtlich auf den Vermögensverwaltungsaktivitäten in der Schweiz. Die Direktinvestitionsströme im Jahr 2021 haben sich vor allem auf Kolumbien und Brasilien und in geringerem Masse auf Argentinien, Mexiko und Costa Rica konzentriert. Auch der Handel der Schweiz mit Lateinamerika hat sich nach dem Einbruch von 2020 (–11,5 %) im Jahr 2021 um 8,4 % erholt. Dies ist umso wichtiger, als es sich bei den Schweizer Exporten 2021 vor allem um pharmazeutische Produkte (47 %), Chemie (18 %) und Maschinen (12 %) handelte, während die Importe aus Lateinamerika vor allem Gold (74 %) und landwirtschaftliche Produkte (12 %) betrafen. Ein Handelsabkommen würde zwangsläufig den Handel und die Unternehmen fördern. Die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) ist ein Zusammenschluss der Schweiz, Islands, Norwegens und Liechtensteins. Sie diskutiert gerade über solche Handelsabkommen mit Lateinamerika. Am vorteilhaftesten ist es, mit Mexiko im Bereich Industrie und Autos, mit Peru und Chile im Bergbau und mit Kolumbien im Bereich Tourismus und Bauwesen Handel zu treiben. Dies ist vor allem möglich, da diese Länder Mitglieder der Pazifik-Allianz sind und ein Freihandelsabkommen mit der Schweiz, der EU und den USA geschlossen haben. Bemerkenswert ist, dass Schweizer Firmen Ende 2020 bis zu 169 000 Personen in Lateinamerika und der Karibik beschäftigten.

Es dauere mindestens zwei bis drei Jahre, bis sich ein KMU in Lateinamerika etabliert habe, sagte der Appenzeller Unternehmer Daniel Breitenmoser in einem Interview mit Raiffeisen, welches auf der Internetseite der Bank aufgeschaltet ist. Denn es erfordere mehr Engagement auf der Ebene der persönlichen Beziehungen, um mit den lokalen Partnern ein Klima des Vertrauens aufzubauen, das sich langfristig auszahle.

Die Handelsbeziehungen mit Lateinamerika stehen jedoch unter Druck. Während Lateinamerika jahrzehntelang als Hoheitsgebiet der USA galt, weitet seit 2012 China seinen Einfluss dort am stärksten aus. Damit wird China de facto zum wichtigsten Handelspartner der Region. Es wird sogar bald Brasilien als wichtigsten Handelspartner Argentiniens überholen. Das zeigt, wie gut sich China dort etabliert hat und eindeutig versucht, seinen Zugriff auf die Rohstoffe zu sichern, die es für seinen heimischen Bedarf benötigt. Und im gleichen Atemzug Taiwan zu diskreditieren und gleichzeitig sein Modell der wirtschaftlichen Entwicklung zu fördern.

Mikael Huber, Ressortleiter sgv

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