Publiziert am: 24.03.2023

Nie genug Strom

STROMVERSORGUNG – Was wir wissen: Wer dekarbonisieren will, muss elektrifizieren. Was wir aber nicht wissen: Woher der Strom kommen soll. Die Schweizer Kapazitäten sind aufgebraucht, doch der Bedarf steigt immer weiter.

Demnächst kommt der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative an die Urne. Gemäss ihm soll die Schweiz im Jahr 2050 netto Null Treibhausgase ausstossen. Während der parlamentarischen Beratung hat der Schweizerische Gewerbeverband sgv diesen Gegenvorschlag abgelehnt. Erstens ist die Zielsetzung unklar, weil Stand heute niemand sagen kann, was «netto» ist. Zweitens sind die Massnahmen, die zur Reduktion führen sollen, gar nicht in der Vorlage enthalten. Drittens gibt es einen riesigen Elefanten im Raum: den Strom.

Eine grosse Absenkung der Treibhausgasemissionen der Schweiz, gemeinhin Dekarbonisierung genannt, ist nur möglich, wenn die Wirtschaft und Gesellschaft radikal elektrifiziert werden. Doch woher soll der ganze Strom kommen?

Verbrauch und Bedarf

Die Schweiz hat einen Primärenergiebedarf von 259 Terawattstunden pro Jahr. Rund 60 Prozent sind fossilen Ursprungs, also Benzin, Diesel, Heizöl und Gas. Der Strombedarf der Schweiz liegt heute bei rund 65 Terawattstunden und setzt sich aus etwa 55 Prozent Wasserkraft, 36 Prozent Kernkraft und neun Prozent anderen Energiequellen zusammen. Bei der Produktion besteht ein kleiner Überschuss, jedoch wird im Winter zu wenig produziert, was circa sechs Terawattstunden Import notwendig macht.

In Zukunft geht man von einem deutlichen Mehrbedarf an Stromproduktionskapazitäten aus. So muss einerseits der Wegfall der Kernkraftwerke (–23 Terawattstunden) kompensiert werden, zudem muss der zusätzliche Bedarf aufgrund der Dekarbonisierung des Verkehrs und der Wärmeproduktion sowie des Bevölkerungswachstums gedeckt werden können. Je nach Sektor fällt der bedarf anders aus.

Elektrifizierung heisst, dass der Strombedarf steigt

Der Energieverbrauch der Mobilität liegt heute zwischen 57 und 64 Terawattstunden, je nach Quelle. Dieser wird fast ausschliesslich mit fossilen Energieträgern befriedigt. Zwar sinkt der Energiebedarf wegen der grösseren Effizienz der Elektrofahrzeuge. Doch weil es davon immer mehr gibt, steigt der Strombedarf bis 2050 netto auf 15 bis 16 Terawattstunden.

Der heutige Wärmebedarf beläuft sich auf rund 100 Terawattstunden Energie, wobei 60 Prozent fossilen Ursprungs sind. Die Substitution der fossilen Wärmeträger erfolgt nicht ausschliesslich mit Wärmepumpen, da auch thermische Netze und Biomasse ein grosses Potenzial bieten. Selbst wenn aufgrund verbesserter Technologien und Effizienzmassnahmen der Basisstrombedarf bis 2050 leicht sinkt, braucht es einen massiven Kapazitätsausbau, um den Elektrizitätsbedarf 2050 decken zu können.

Neue Produktionskapazitäten

Eine Studie der Empa im Jahr 2022 rechnet mit einem Mehrbedarf von 25 bis 40 Prozent an Produktionskapazitäten für elektrischen Strom, um den Bedarf von 80 bis 90 Terawattstunden bis 2050 zu befriedigen. Das ist viel – und so schnell gar nicht zu erreichen.

Immerhin: Die eidgenössischen Räte behandeln zwei Vorlagen, welche den Ausbau der Produktions-kapazitäten erleichtern sollen. Doch selbst dort wird die wichtigste Frage nicht beantwortet, nämlich wie es mit der Kernkraft weitergeht. Mit ihr wären die Zielsetzungen des Gegenvorschlags der Gletscherinitiative erreichbar. Ohne sie sind sie es vermutlich nicht.

Ohne die Frage zu beantworten, wie die Elektrifizierung vorangebracht werden kann, gibt es keine Antworten darauf, wie der geplante Klimaschutz erreicht werden kann.

Henrique Schneider, Stv. Direktor sgv

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