Publiziert am: 09.08.2024

Lernende – die verwundbaren Wesen

DUALE BERUFSLEHRE – Im Juli lud die Gewerkschaft Unia unter dem Titel «Stress und Erschöpfung in der Lehre: Mehr Gesundheitsschutz ist nötig!» zur Medienkonferenz ein. Gemäss einer Umfrage unter angeblich 1100 Lernenden sollen 92,4 Prozent der Antwortenden Stress am Arbeitsplatz empfinden. Der sgv weist diese Pauschalkritik an der dualen Ausbildung entschieden zurück.

«Überlange Arbeitszeiten und tiefe Lehrlingslöhne» prägen gemäss Unia den Arbeitsalltag junger Menschen in der Schweiz. Die Mehrheit der Lernenden verdiene vom ersten bis zum vierten Ausbildungsjahr weniger als 999 Franken im Monat, jeder zwanzigste gar weniger als 500 Franken. Knapp die Hälfte der Lernenden habe ein Problem mit zu langen Arbeitszeiten. 27,9 Prozent der Frauen und 7,8 Prozent der Männer hätten sexuelle Belästigung erlebt. Von Rassismus seien 35,3 Prozent der Lernenden betroffen. 54,9 Prozent der Lernenden geben an, dass ihr Betrieb noch nie vom Amt für Berufsbildung kontrolliert worden sei. Immerhin: 65,5 Prozent sollen mit ihrer Ausbildung zufrieden sein.

Die Unia stellt Lernende also als besonders verwundbare Wesen dar. Das Fazit der Gewerkschaft: «Den Lernenden in der Schweiz geht es nicht gut.» Die gewerkschaftlichen Forderungen gipfeln in «mehr Gesundheitsschutz» sowie «vermehrte und bessere Kontrollen der Arbeitsbedingungen» sowie den linken Klassiker: «mehr Regulierungen».

Kontrollen durch die Kantone

Von ein paar Ausnahmen abgesehen haben die Medien diese tendenziöse Studie gar nicht erst aufgenommen oder kommentiert. Dennoch erfordert die pauschalisierende Verurteilung der Ausbildnerinnen und Ausbildner sowie, was die angeblich mangelnden Kontrollen anbelangt, der Kantone einige Klarstellungen.

Die Kantone erteilen den Lehrbetrieben die Bildungsbewilligung und prüfen damit auch, ob die Voraussetzungen zum Ausbilden grundsätzlich gegeben sind. Ist die Bildungsbewilligung erst mal erteilt, erfolgen sporadisch Kontrollen.

FragwĂĽrdige Methodik

Gemäss Unia verfolgte die Umfrage einen «partizipativen Ansatz» und «bezog die Lernenden in die Gestaltung des Fragebogens ein». Unklar ist, wonach die Lernenden konkret gefragt wurden und wie genau diese Fragen zustande kamen. Die Angaben sind subjektiv und lassen grossen Interpretationsspielraum offen. Wie genau etwa definiert sich «Stress» oder «Zufriedenheit mit der Ausbildung»? Es wird auch nicht klar, ob die allgemeine Unzufriedenheit ausschliesslich mit den Lehrbedingungen zusammenhängt – oder ob die Ursache allenfalls auch im privaten oder schulischen Umfeld liegen könnte. Ein wissenschaftlicher Ansatz tönt anders.

Ausbildung steht im Fokus – nicht der Lohn

In der Lehre stehen primär das Lernen und erste Arbeitswelter-fahrungen im Vordergrund und nicht die Höhe des Lohns, der durch die Branchen festgelegt wird. Da-bei gehört ein gewisser Leistungsdruck dazu, weil die Lehre für das Berufs- und Erwerbsleben vorbe-reitet.

Gesundheitsschutz immer besser

Die Studie fordert weiter mehr Gesundheitsschutz. Genau im Jugendarbeitsschutz ist in den letzten Jahren viel gemacht worden, vor allem was den Umgang mit gefährlichen Arbeiten anbelangt. Erst auf 2023 ist eine entsprechende Verordnung in Kraft getreten, die sich mit der psychischen und körperlichen Belastung auseinan-dersetzt.

Über 200 000 Lernende absolvieren derzeit eine Berufsausbildung. Wie überall gibt es auch bei Lehrbetrieben einzelne schwarze Schafe – auch die müss(t)en die Gesetze und Verordnungen einhalten. Allgemein aber halten sich die Unternehmen an die rechtlichen Rahmenbedingungen und an den Lehrvertrag, wie sie sich auch gegenüber allen Mitarbeitenden im Alltag rechtlich korrekt verhalten müssen. Insgesamt gibt es für junge Berufsleute kaum etwas Integrativeres und Chancenreicheres als die duale Berufslehre. Daran kann auch eine noch so dramatisch wirkende Studie nichts ändern.

Dieter Kläy, Ressortleiter, Stv. Direktor sgv

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