Publiziert am: 19.02.2021

AHV droht erneuter Absturz

AHV-REVISION – Der AHV drohen Defizite in Milliardenhöhe. Politische Grabenkämpfe und unrealistische Ausbauwünsche gefährden die Reformpläne des Bundesrats.

Es soll Demokratien geben, in denen sich tiefgreifende Reformen binnen Jahresfrist beschliessen und um­setzen lassen. Die Schweiz gehört definitiv nicht zu diesen Staaten. Und das schon gar nicht im Bereich der Sozialpolitik. Hier nimmt der Reformstau allmählich erschreckende Züge an.

Stillstand trotz Reformbedarf

1948 trat die AHV in Kraft. Im Juni 1995 erteilten die Stimmberechtigten der 10. AHV-Revision ihre Zustimmung. Im letzten Jahrhundert war es somit möglich, unser wichtigstes Sozialwerk im Vier-Jahres-Rhythmus einer Revision zu unterziehen.

Seither herrscht mehr oder weniger Stillstand. Neben einer rein technischen, von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommenen Mini-Reform schaffte es das Parlament einzig, der AHV im Rahmen der STAF-Vorlage zusätzlich Mittel zuzuschieben. Alle anderen Revisionsvorlagen scheiterten entweder im Parlament oder wurden von den Stimmberechtigten bachab geschickt.

Dabei ist der Reformbedarf klar ausgewiesen. Gemäss bundesrätlicher Botschaft zur AHV 21 – der Reform zur Stabilisierung der AHV – verzeichnet unsere staatliche Altersvorsorge bereits in zwei Jahren wieder negative Umlageergebnisse. Zuerst sind es «bloss» einige hundert Millionen Franken, die fehlen. Bereits ab 2025 – und das ist nicht mehr allzu weit weg – wird mit Defiziten in Milliardenhöhe gerechnet. Ohne Korrekturen wird das ganze Vermögen der AHV, das sich zurzeit noch auf über 45 Milliarden Franken beläuft, bis in rund zwölf Jahren vollständig aufgebraucht sein.

Einsparungen bei den Frauen

In seiner Botschaft schlägt der Bundesrat vor, das Frauenrentenalter auf 65 Jahre zu erhöhen. Das brächte Nettoeinsparungen von rund 1,4 Milliarden Franken jährlich. Die Hälfte dieser Einsparungen will der Bundesrat während neun Jahren für Abfederungsmassnahmen zugunsten der betroffenen Frauen einsetzen. Zusätzlich will er die Mehrwertsteuersätze um 0,7 Prozent erhöhen, was aus Sicht des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv entschieden zu viel ist.

Die ständerätliche Sozialkommission hat sich viel Zeit genommen, um die Vorlage zu beraten. Sehr viel Zeit sogar, liegt die Botschaft des Bundesrats doch seit eineinhalb Jahren auf dem Tisch. Was bisher an Beschlüssen an die Öffentlichkeit gedrungen ist, verheisst wenig Gutes. Die Kommission will sparen, indem sie vorgezogene AHV-Renten erst ab 63 statt ab 62 Jahren zulassen will. Das ist politisch eher unproblematisch. Und sie will sparen, indem sie die Kosten für die Abfederungsmassnahmen zugunsten der Frauen um gut 200 Millionen Franken kürzt und sie auf sechs Jahrgänge beschränkt. Das treibt die Linken und die Frauenorganisationen zur Weissglut und lässt sogar die Mitte mit einem Referendum liebäugeln.

Teurer Leistungsausbau

Verheerend ist, dass die Ein­sparungen nicht beschlossen wurden, um das Ausmass der Mehr­wertsteuererhöhung zu verringern. Nein, mit den Einsparungen soll ein teurer Leistungsausbau mitfinanziert werden.

Der Ehepaarplafonds, der bei wohlhabenderen Rentnern zur Anwendung gelangt, soll von 150 auf 155 Prozent erhöht werden. Was relativ harmlos tönt und von der Sache her seine Berechtigung haben mag, würde jährliche Mehrkosten von 650 Millionen Franken auslösen. Von den vom Bundesrat angestrebten Nettoeinsparungen bliebe damit kaum mehr etwas übrig. Folge: Die Sanierung der AHV-Finanzen müsste primär über die Schiene Mehrwertsteuereinnahmen erfolgen. Und das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit den Widerstand der Rechten und der Wirtschaftsverbände hervorrufen. Was die Ständeratskommission in Sachen Mehrwertsteuererhöhung konkret beschliessen will, ist noch nicht bekannt. Gutes ist kaum zu erwarten.

Die Hürden der parlamentarischen Schlussabstimmungen und den Urnengang vor dem Souverän wird eine AHV-Revision nur dann meistern, wenn sie ausgewogen ist. Ausgewogen heisst: angemessene ­Sparmassnamen, angemessene Mehreinnahmen, Verzicht auf teuren Leistungsausbau. Was die Ständeratskommission bisher beschlossen hat, ist nicht angemessen. Es droht ein erneuter Scherbenhaufen.

Kurt Gfeller, Vizedirektor sgv

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