Publiziert am: 12.12.2014

«Angst vor Fehlern ist fehl am Platz»

RUEDI LUSTENBERGER – Die duale Berufsbildung und die Weiterbildung waren wichtige Anliegen des Schreinermeisters und Unternehmers in seinem Jahr als Nationalratspräsident. Und er kritisiert den Hang zu einer «Vollkaskomentalität» beim Bund.

Schweizerische Gewerbezeitung: Mit Ihnen war 2014 ein «echter Gewerbler» Parlamentspräsident. Wie beurteilen Sie die Arbeit des Nationalrats aus unternehmerischer Sicht?

nRuedi Lustenberger: Im Vergleich mit andern OECD-Staaten sind wir gut aufgestellt und damit auch wettbewerbsfähig. Trotzdem ist es natürlich eine permanente Herausforderung, dem Regulierungswahn der EU zu entsagen.

«BEIM BUND HERRSCHT EUNE TEURE VOLL-
KASKOMENTALITÄT.»

Was konnten Sie in Ihrem Präsi-dialjahr fürs Schweizer Gewerbe erreichen?

n Als Präsident ist man ein Jahr lang Botschafter der Eidgenossenschaft und kommt sehr viel mit den Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt. Das ist eine schöne Aufgabe, und ich habe sie gerne wahrgenommen. Dabei habe ich nie verhehlt, sondern im Gegenteil ganz bewusst darauf hingewiesen, dass ich Schreinermeister und Unternehmer bin, und dass die Schweizer Volkswirtschaft von eben diesen 300 000 KMU getragen wird. Bekanntlich liegen mir unser duales Berufsbildungssystem und die Weiterbildung besonders am Herzen. Diese Botschaften habe ich in die Eidgenossenschaft hinausgetragen. Und wenn das einigermassen gelungen ist, freut es mich im Nachhinein.

Aus der Unternehmer-Optik orten Sie beim Bund eine «Vollkasko-Mentalität» und mangelnde Fehlerkultur. Worauf bezieht sich Ihre Kritik?

n Vielfach herrscht in der Politik die Meinung vor, die Angestellten des Bundes dürften keine Fehler machen. Das ist eine falsche Einstellung. Wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Nun habe ich festgestellt, dass in den Büros des Bundes eine Art Angst vor dem Fehlermachen vorhanden ist. Deshalb gibt man zu Hauf Gutachten und Expertisen in Auftrag, um bei einer Kritik ja gut abgesichert zu sein. Diese «Vollkaskomentalität» ist erstens sündhaft teuer und zweitens motivationshemmend.

Weiter kritisieren Sie die Entwicklung der Fürsorge und Sozialhilfe und fordern mehr Rücksicht auf die Gemeinden. Was konkret bereitet Ihnen Sorgen?

n In jüngster Zeit wurden krasse Einzelfälle publik. Die steuerzahlende Bevölkerung, vor allem der Mittelstand, ist besorgt über die Zunahme der Aufwendungen im Bereich der Sozialhilfe und die Folgen des neuen Kinder- und Erwachsenenschutzrechtes in einzelnen Gemeinden. Die Politik ist gut beraten, hier die notwendige Sorgfalt walten zu lassen. Sonst ist die Gefahr gross, dass eine breite Staatsverdrossenheit Einzug hält. Das wäre dann neben der fiskalpolitischen Problematik eine ganz schlechte Entwicklung im staatspolitischen Bereich. Unsere direkte Demokratie braucht Bürger, welche dem Staat vertrauen, und selbstverständlich auch umgekehrt.

«JEDE RÜCKWIRKUNG IST GIFT FÜR DIE
RECHTSSICHERHEIT.»

Im Zusammenhang mit der Erbschaftssteuer-Initiative verlangen Sie eine engere Auslegung des Begriffs «Einheit der Materie»: Weshalb?

n Das Initiativrecht ist ein äusserst wertvolles Instrument in unserer direkten Demokratie. Gerade deshalb müssen wir gut darauf achten, dass der Grundsatz der Einheit der Materie in Zukunft gewahrt bleibt. Bei Ecopop und auch bei der Erbschaftssteuer sind die Initianten m. E. über die tolerierbare Grenze dieser Maxime gegangen. Deshalb ist nun der Zeitpunkt gekommen, diesbezüglich klare Regelungen zu erlassen.

Sie kritisieren auch die rückwirkende Inkraftsetzung?

n Ja. Jede Rückwirkung ist in einem Rechtsstaat Gift für die Rechtssicherheit. Die Erbschaftssteuer-Initiative zeigt exemplarisch auf, dass bei ­einer Annahme eine rückwirkende Inkraftsetzung auf mehrere Jahre vorgenommen werden müsste. Das führt zu einer grossen Verunsicherung der Bürger. Das Initiativrecht wurde ja nicht eingeführt, um Rechtsunsicherheit zu schaffen.

Die Krönung Ihres Politikerlebens, das Präsidialjahr, liegt hinter Ihnen. Treten Sie im Oktober 2015 nochmals zur Wahl an?

n Das zu überlegen und dann zu entscheiden, hat noch ein paar Wochen Zeit.

Interview: En

Meist Gelesen