Publiziert am: 05.09.2014

«Bei Rot wird ja auch gestoppt»

HANS-ULRICH BIGLER – Der Gewerbedirektor unterstützt die Massnahmen der Suva zur Verhütung von Arbeitsunfällen und sagt: «Alle haben ein Interesse an Prävention, denn dadurch lassen sich Kosten sparen.»

Mit der Lancierung der Sicherheits-Charta vor rund drei Jahren hat sich die Suva zusammen mit rund 20 grossen Verbänden aus dem Bauhaupt- und Ausbaugewerbe, mit Gewerkschaften und Planern zum Ziel gesetzt, die Unfallzahlen am Arbeitsplatz zu senken. Alle Partner haben sich dazu verpflichtet, bei Gefahr Stopp zu sagen, die Gefahr zu beheben und erst dann weiterzuarbeiten. Denn das Leben und die Gesundheit der Beschäftigten haben absolute Priorität. Aus 20 Unterschriften wurden innerhalb von knapp drei Jahren rund 500 öffentliche Bekenntnisse, für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz einzustehen. Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes sgv, führt im Interview aus, wieso die Sicherheits-Charta alle etwas angeht, die mit Unfallprävention zu tun haben.

«JEDER ARBEITGEBER HAT INTERESSE AN SINNVOLLER PRÄVENTION.»

Schweizerische Gewerbezeitung: Herr Bigler, pro Jahr verunfallen 181 500 Versicherte der Suva bei der Arbeit. Das sind 100 Unfall­opfer pro Arbeitsstunde. Erschreckt Sie das?

n Hans-Ulrich Bigler: Diese Zahlen bleiben relativ unfassbar, weil sich immer die Frage stellt, wie es zu einem Unfall gekommen ist und wie gravierend die Folgen sind. Grundsätzlich ist jeder Unfall ein Unfall zu viel. Ausgehend von dieser Aussage muss jeder Arbeitgeber ein Interesse daran haben, in der Prävention alles Mögliche zu unternehmen, um in sinnvoller Weise Unfälle zu vermeiden.

Was meinen Sie mit «in sinnvoller Weise»?

n Ich setze mich dafür ein, unnötige und unsinnige Regulierungen abzubauen. Das hilft der Wirtschaft zu wachsen, was wiederum Arbeitsplätze schafft und letztlich der gesamten Bevölkerung zugute kommt.

Wie steht es diesbezüglich mit der Prävention? Lassen sich die Kosten dafür in den Betrieben senken und sich gleichzeitig die Sicherheit am Arbeitsplatz gewährleisten?

n Im Bereich der Arbeitssicherheit ist es klar, dass es sich um sinnvolle Regulierungen handelt, die ihren Preis haben. Letztlich geht es um das Wohl der Mitarbeitenden. Auch wenn sich das berühmte Restrisiko nicht ganz ausschliessen lässt, so muss doch alles getan werden, um die Arbeit sicher zu machen.

«UNFÄLLE VERMEIDEN HEISST AUCH KOSTEN SENKEN.»

Wer Unfallprävention betreibt, muss sich aber trotzdem die Frage stellen, wie Arbeitssicherheit möglichst effektiv betrieben werden kann, um wiederum die Umsetzung so effizient wie möglich zu gestalten. Somit ist es eine anspruchsvolle Diskussion, die alle Beteiligten miteinander sorgfältig und detailliert führen müssen.

Um die hohen Unfallzahlen zu senken, haben die Akteure der Baubranche vor rund drei Jahren mit UnterstĂĽtzung der Suva die Sicherheits-Charta lanciert. Ist das der richtige Weg?

n Eine solche Initiative ergibt Sinn. Dass man hierfür als Mittel eine Charta wählt, ist eine mögliche Umsetzungsform. Letztlich geht es darum, Unfälle und Leid zu vermeiden und damit auch die Prämien tief zu halten. Prämien sind Kostenfaktoren – und die Betriebe sind daran interessiert, diese zu minimieren. Insofern haben in dieser Hinsicht alle Beteiligten die gleichen Interessen.

Welcher Grundsatz der Sicherheits-Charta ĂĽberzeugt Sie am meisten?

n Wir erachten es als zielführend, dass die Sicherheits-Charta auf die Eigenverantwortung setzt – ein Prinzip, das in der schweizerischen Politik leider zunehmend zu kurz kommt. Wir sind der Meinung, dass die direkt betroffenen Branchenverbände auf ihre Mitgliedfirmen einwirken sollen, um diese für die Sicherheits-Charta zu sensibilisieren. Mit geschickter Überzeugungsarbeit muss Verständnis dafür geweckt werden, dass die Verantwortung für Arbeitssicherheit nicht nur bei einer einzigen Person liegen kann. Es müssen sich alle Beteiligten dafür einsetzen. Wird der Sinn und die Notwendigkeit der Eigenverantwortung in den Betrieben anerkannt, kann auch eine konsequente Umsetzung der Kampagnenziele erfolgen. Mit anderen Worten: Die aufwändigsten Kampagnen zeigen nicht die gewünschte Wirkung, wenn die Zielgruppe den Sinn und Zweck einer solchen nicht erkennt oder nicht versteht.

«BEI DER ARBEITS­SICHERHEIT STEHEN ALLE IN DER VERANTWORTUNG.»

Wie soll die Eigenverantwortung in den Betrieben verankert werden?

n Beim Thema Arbeitssicherheit geht man schnell vom Ansatz aus, dass es ja die Aufgabe des Arbeitgebers ist, für Sicherheit zu sorgen. Es stimmt, dass Arbeitssicherheit Chefsache ist – doch der Arbeitnehmer steht im gleichen Ausmass in der Verantwortung. Es nützt nichts, wenn der Arbeitgeber eine Sicherheitsvorschrift einführt und der Arbeitnehmer diese nicht umsetzt. So kann es zu Unfällen kommen. Insofern ist es nicht eine einseitige, sondern eine partnerschaftliche Verantwortung. Und sobald eine Kampagne auf dem partnerschaftlichen ­Gedanken beruht, braucht es ­betriebsintern eine gute Kommunikation, damit der Arbeitnehmer den Sinn einer Massnahme erkennt und sie aus Eigeninteresse ausführt. Wir stellen oft fest, dass es nicht immer ausreicht, Massnahmen gesetzlich zu verordnen oder eine Regulierung dafür aufzusetzen. Verständnis und Akzeptanz müssen geschaffen werden. Diesen Ansatz verfolgt die Sicherheits-Charta.

Für welche Verbände und Unternehmen ist es Ihrer Meinung nach ein Muss, die Sicherheits-Charta zu unterschreiben?

n Grundsätzlich muss sich jeder Betrieb mit der Frage auseinandersetzen, wie Unfälle vermieden werden können. Die Unfallrisiken sehen von Branche zu Branche und von Betrieb zu Betrieb anders aus. Oft kennen die Arbeitnehmer das Risiko und die Gefahren am Arbeitsplatz besser als ihre Vorgesetzten, da sie näher am Prozess dran sind. Diese Erfahrungen müssen in die Diskussionen für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz eingebracht werden. Deswegen ist eine sozialpartnerschaftliche Vorgehensweise sinnvoll, was ein zentrales Element der Sicherheits-Charta ist. Ich empfehle allen Unternehmen, bei welchen Arbeitssicherheit ein Thema ist, sich mit der Sicherheits-Charta auseinanderzusetzen.

Mit der Unterzeichnung der Sicherheits-Charta verpflichten sich die Mitglieder, die lebenswichtigen Regeln der Suva einzuhalten. Glauben Sie, dass dadurch ein Gefühl von Bevormundung ent­stehen kann?

n Nein. Das ist wie im Strassenverkehr. Auch dort gibt es Regeln. Diese sind akzeptiert, da man ihre Notwendigkeit erkannt hat. Wenn die Ampel auf Rot steht, fährt man nicht weiter. Verkehrsteilnehmer sind sich bewusst, dass es nicht gut kommt, bei Rot weiterzufahren. Die lebenswichtigen Regeln der Suva sind in dieser Hinsicht identisch. Wer sie nicht einhält, geht ein Unfallrisiko ein. Für sicheres Arbeiten braucht es eine gewisse Verbindlichkeit. Jede Regel hat den Charakter einer Leitlinie. Man soll sich jedoch nicht nur stur an eine Regel halten, sondern diese mit einem gesunden Menschenverstand anwenden. Das muss ins Bewusstsein der Beschäftigten.

«REGELN SOLLEN MIT GESUNDEM MENSCHENVERSTAND UMGESETZT WERDEN.»

Gemäss Sicherheits-Charta gilt: Bei Gefahr Stopp sagen, Gefahr beheben und erst dann weiterarbeiten. Wenden Sie diesen Grundsatz in Ihrem Berufsalltag auch an?

n Es gibt im Berufsleben immer wieder Momente, in denen man die Handbremse ziehen soll, um eine sorgfältige Analyse zu machen und sich zu fragen: Um was geht es eigentlich? Insofern sage ich im übertragenen Sinn auch Stopp, um eine Situation neu zu beurteilen und nicht mit dem Kopf durch die Wand zu gehen.

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