Publiziert am: 04.02.2022

Brot und Spiele

GELDENTWICKLUNG – Inflation, Stagflation, galoppierende Inflation: Das Gespenst der Inflation geht wieder um. Doch solange der Mensch seinen gewohnten Wohlstand so weiterführen kann wie bisher, kümmert er sich meist nicht um die Preisentwicklung. Das wussten schon die Römer.

Die Corona-Epidemie hat es gezeigt: Wenn alle Leute WC-Papier kaufen, dann lichtet sich nicht nur das Lager in den Verkaufsläden; Nachschub und Produktion kommen nicht mehr nach. Und dies, obschon die meisten Konsumenten wohl genügend WC-Papier zu Hause haben. Die Leute handeln nach dem Motto: Bevor die Preise steigen, kaufe auch ich noch – und sei es WC-Papier.

Wie reagieren die Konsumenten?

Heute sind mit den Produktions- und Lieferschwierigkeiten im internationalen Handel und als Folge der just-in-time-Produktion einzelne Konsumgüter wie Velos, aber auch wichtige Einzelteile und Vorprodukte wie etwa Chips für die Automobilproduktion Mangelware. Zunächst ziehen die Transportpreise an, und nun auch die entsprechenden Güterpreise. So steigt das allgemeine Preisniveau, nicht nur wegen der höheren Preise auf dem Erdölmarkt. Hinzu kommen politisch indizierte künstliche Verknappungen wie zum Beispiel mangelnde Erdgaslieferungen. Das alles führt dazu, dass das Preisniveau sowohl in den USA wie auch in Europa ansteigt. Nach jahrelanger Erfahrung mit sogar negativer Preisentwicklung stellt sich nun die Frage, wie die Konsumenten reagieren werden.

Sachwert-Inflation

Nach der Geld-Theorie resultiert die Inflation, also die Steigerung des Preisniveaus und damit die reale Geldentwertung, mit der Geldmenge und der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Wächst das Bruttoinlandprodukt nicht im gleichen Ausmasse, entsteht Inflation. Seit der Geldflutung durch die amerikanische FED und die Europäische Zentralbank stimmt diese einfache Logik nicht mehr. Denn die riesige Geldflut ist bis anhin nicht auf den Gütermärkten angekommen. Die Gelder fliessen in die Kapitalmärkte. Somit steigen die Werte der an den Börsen gehandelten Aktien, überborden die Preise für Immobilien, Kunstwerke, Sachwerte.

Die Geldmenge hat sich zweigeteilt. Auf der einen Seite auf den Gütermärkten, wo die monetäre Gleichung wohl noch stimmt. Andrerseits auf den Kapitalmärkten, wo quasi ein Eigenleben entstanden ist, erreichen doch die Aktienkurse sowie die Immobilienpreise Höchstwerte.

Wie verhalten sich nun die Konsumenten angesichts der ansteigenden Energie- und Konsumgüterpreise? Werden sie überhöhte Preise für Velos bezahlen, nur weil sie ihren Göttikindern zum Geburtstagsfest unbedingt ein Velo verschenken wollen? Oder warten sie, bis Produktion, Transport und Lieferung sich wieder normalisieren werden? Welche Erwartungen hegen die Letztverbraucher? Warten sie, bis ihr Elektroauto irgendwann im Frühling – hoffentlich – ankommt? Zu welchem Preis?

Stagflation?

Die Erwartungen, der Glaube daran, dass die Lieferketten wieder so funktionieren wie vor der Pandemie, prägen die Kaufbereitschaft, den Willen zum Kauf der Konsumenten. Diese Erwartungen können von niemandem vorausgesagt werden, auch von den Zentralbanken nicht. Angesichts der gedrosselten Produktion insbesondere in China und der Lieferengpässe sowie steigender Energiepreise stellt sich die Frage, ob zusammen mit der Inflation nicht auch noch die gesamte Wirtschaft ins Stocken gerät. Werden Gelder von den Kapitalmärkten abgezogen und damit Güter zu höheren Preisen eingekauft? Schwappen die Gelder vom Kapital- in den Gütermarkt? Besteht somit die Gefahr, dass eine Verknappung der Geldmenge durch die Notenbank die Inflation geradezu anheizen würde? Gehen wir einer Stagflation, also einem Rückgang des Bruttoinlandproduktes bei gleichzeitiger Preissteigerung entgegen? Wie verhalten sich dann die Arbeitgeber und Lohnbezüger?

Kommts zur Lohn-Preisspirale?

Auch die Philipps-Kurve, die negative Korrelation von Inflation und Beschäftigung stimmt in der heutigen globalisierten Welt nicht mehr mit der ursprünglichen Theorie überein. Obschon die Teuerung in den USA Höchstwerte erreicht, stellen die Firmen Leute ein. Werden die Gewerkschaften angesichts von steigenden Preisen nun rasche Lohnerhöhungen verlangen? Werden die Arbeitgeber die Löhne anheben? Nur wegen Liefer- und Produktionsengpässen werden die Firmen kaum Leute entlassen, denn die Nachfrage ist ja vorhanden. Wird somit die unheilvolle Lohn-Preisspirale in Gang gesetzt? Wir wissen es nicht.

Für die Notenbanken ist ihre heutige Argumentation die einfachste, wenn sie sagen, die Preiserhöhungen seien lediglich kurzfristig und temporär bedingt, wegen der vorhandenen Engpässe. Deshalb sehen sie keine restriktive Geldpolitik vor. Was aber, wenn die Konsumenten diese Erklärungen nicht glauben?

Galoppierende Inflation?

Nehmen wir an, die Notenbanken halten an ihrer Strategie fest und die Konsumenten kaufen weiter zu überhöhten Preisen. Was geschieht dann? Wird dann der heute zweigeteilte, gigantische Geldhaufen wieder zu einer Geldmenge vereint? Wie verhalten sich dann die Firmen? Können sie die anziehende Nachfrage befriedigen? Funktioniert die globale Wirtschaft wieder wie vorher, werden sie wohl vermehrt Leute einstellen. Was aber, wenn die Pandemie und die Liefer- und Produktionsschwierigkeiten anhalten? Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden die Firmen ihre Preise anheben. Wird dann die Inflation galoppieren?

Die Ökonomie ist keine exakte Wissenschaft, da sie vom Verhalten der Menschen abhängt. Ein Extrembeispiel dazu liefern Börsencrashs. Werden plötzlich Millionen von Aktien verkauft, sinkt der Preis, und vor dem Preiszerfall retten sich auch weitere Aktieninhaber mit Verkäufen. Nun aber operieren auf den Börsen Aufsichten, die befehlen, den Handel einzustellen. Kann eine allgemein herrschende negative Stimmung wieder umgekehrt werden?

Alte Volkswirtschaftslehre?

Die Wirtschaftswissenschaften haben heute keine Antworten auf diese Fragen, denn die Theorien stammen aus einer Zeit der Volkswirtschaftslehre. Also der wirtschaftlichen Zusammenhänge innerhalb einer abgeschlossenen Grenze mit inneren Regeln und mit äusseren Verbindungen. Exporte und Importe werden bezogen auf ein bestimmtes Gebiet betrachtet. Heute wandern die Güter hin und her, bis das Endprodukt, z.B. das Auto, irgendwo fertig produziert wird. Noch extremer ist dies im europäischen Flugzeugbau. Hier werden die einzelnen Teile von einem Land zum anderen verschoben, bis sie zum Endprodukt verarbeitet werden. Mit der just-in-time-Produktion, der lean production ist auch die Güterproduktion global geworden. Fällt die Herstellung eines Vorproduktes für ein pharmazeutisches Produkt in China oder in Indien aus, so kann die Pille in der Schweiz oder in Deutschland nicht produziert werden.

Wir haben uns insbesondere in der westlichen Welt daran gewöhnt, dass lohnabhängige Vorprodukte in Billiglohnländer verschoben werden. Deshalb konnten wir zu immer günstigeren Preisen Produkte wie Textilien, Elektronik, Konsumgüter erwerben. Kehrt sich das nun, mit der Rückführung der Vorproduktion nach Europa, wieder um? Und mit welchen Wirkungen? Wird dann das Preisniveau automatisch anziehen? Werden Produkte wie Dienstleistungen bei uns wieder teurer? Welche Auswirkungen hat dies auf die Reaktion der Notenbanken?

Neue Ökonomie

Die Kapitalmärkte operieren schon lange global und rund um die Uhr, während 24 Stunden am Tag. Wie kann die lauernde Inflationsgefahr gebannt werden? Die einen glauben, dass wir nicht um eine Hyperinflation herumkommen werden. Andere schlagen vor, dass die gemäss dem Motto von Mario Draghi «What­ever it takes» von der europäischen Zentralbank herausgegebenen billigen Gelder einfach mit einem Federstrich abgeschrieben werden. Die Mehrheit findet, dass die monetäre, die Schuldenkrise mit einer Inflationsrate von zwei Prozent über längere Zeit einfach durchgewurstelt, überwunden werden kann.

Vielleicht haben sie nicht unrecht, denn der Mensch ist der Geldwert­illusion unterworfen. Solange er seinen gewohnten Wohlstand so weiterführen kann wie bisher, so lange kümmert er sich nicht um die Preisentwicklung.

Das wussten schon die Römer: «Sorge für Brot und Spiele.»

Werner C. Hug

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