Publiziert am: 12.05.2021

Das Thema ist so brisant wie eh und je

HEIRATSSTRAFE – Die 40 Jahre alte Debatte um die Beseitigung der Heiratsstrafe geht in die nächste Runde. Und wie immer stehen den Befürwortern der Individualbesteuerung die Verfechter der gemeinsamen Besteuerung gegenüber.

Heute werden verheiratete Paare ­gemeinsam besteuert, während Konkubinatspaare der Individualbesteuerung unterstehen. Auf Bundesebene führt die Addition der Einkommen von verheirateten Doppelverdiener-Paaren zu einer höheren Progression. Sie bezahlen oftmals viel höhere Steuern als ledige Doppelverdiener-Paare, die genau gleich viel verdienen. Ist das denn nun wirklich eine Knacknuss? Ja, das darf man wohl sagen: Die SP und die FDP machen sich für die Individualbesteuerung stark, während die SVP und die ­Mitte eine Lösung im Rahmen der gemeinsamen Besteuerung wünschen. Dem alternativen Modell des Bundesrats wurde eine Abfuhr erteilt – glücklicherweise, denn dieses wenig ­überzeugende Modell wäre die Steuerzahlenden teuer zu stehen gekommen. Das Parlament hat grünes Licht für die Wiederaufnahme der Diskussion über die Individualbesteuerung erteilt.

Ist die Individualbesteuerung wirklich das Allheilmittel?

In der Schweiz sind bisher alle politischen Initiativen in diesem Sinne gescheitert, so auch der letzte Anlauf, das alternative Modell des Bundesrats. Es gilt also, ein Modell zu finden, das nicht nur die steuerliche Diskriminierung der Ehe- gegenüber den Konkubinatspaaren beseitigt, sondern idealerweise auch positive Auswirkungen auf die Wirtschaft hat.

Die Individualbesteuerung hat den Vorteil, dass sie gleich zwei Anliegen erfüllt. Erstens würde der Zivilstand bei der Besteuerung keine Rolle mehr spielen. Zweitens würde die Erwerbstätigkeit für Frauen attraktiver.

Bei der Individualbesteuerung werden zwei Untermodelle unterschieden: die reine Individualbesteuerung und die modifizierte Individualbesteuerung. Ist das eine Untermodell dem anderen vorzuziehen? Ja, und zwar die modifizierte Individualbesteuerung. Denn sie berücksichtigt alle Familienmitglieder und würde es somit erlauben, Haushalte mit Kindern zu entlasten. Mit anderen Worten: Haushalte mit ­Kindern werden in diesem Modell weniger stark besteuert als kinderlose Haushalte. Die Einführung einer modifizierten Individualbesteuerung würde die Attraktivität einer Teilnahme am Arbeitsmarkt erhöhen: Dies würde sich positiv auf den Arbeitsmarkt und dementsprechend auf die Steuereinnahmen auswirken.

Laut einer Studie von Ecoplan könnte der Umstand, dass viele Paare weniger direkte Bundessteuer bezahlen müssten, rund 19 000 Stellen (resp. Vollzeitäquivalente, VZÄ) generieren. Die als Folge davon in den Kantonen und Gemeinden zu erwartende Ausdehnung des Steuersubstrats könnte ihrerseits – ebenfalls hypothetisch – zwischen 20 000 und 40 000 Stellen generieren. Insgesamt (Auswirkungen Bund und Kantone) könnte dieses Steuermodell für zusätzliche 60 000 Stellen sorgen.

Gemäss den Gegnern, in erster Linie der SVP und der Mitte, würde die Individualbesteuerung den bürokratischen Aufwand erhöhen; ausserdem brauche es für die Umsetzung rund zehn Jahre.

Zahlreiche Vorteile

Ungeachtet der Ablehnung der Motion 16.3006 «Individualbesteuerung auch in der Schweiz. Endlich vorwärtsmachen», beinhaltet das Modell der Individualbesteuerung zahlreiche Vorteile, nicht zuletzt auch angesichts der wachsenden Digitalisierung. Die Schätzung der Folgekosten muss daher aktualisiert werden. Dieses moderne Besteuerungsmodell sollte Eingang in die parlamentarische Debatte finden, denn es macht die Erwerbstätigkeit für die Steuerzahlenden attraktiver und wirkt somit dem Fachkräftemangel entgegen.

Die administrative Mehrbelastung ist im Übrigen nicht allzu bedeutend. In den meisten Fällen könnte die Steuererklärung online ausgefüllt werden, und es wäre nicht unbedingt nötig, zwei Steuerformulare pro Paar auszufüllen, denn die Steuererklärung könnte für jeden Partner eine Spalte beinhalten.

Waadtländer Rezept, das sich auch für den Bund eignen könnte

Die Idee, das im Kanton Waadt ­bereits seit 30 Jahren bewährte Konzept «Familienquotient» auf die Bundesebene zu übertragen, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht vertretbar und wird den Anforderungen des Bundesgerichtsurteils gerecht. Gemäss diesem Modell soll die Besteuerung möglichst neutral gestaltet werden, da die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Familie nicht nur von ihrem Einkommen, sondern auch von ihrer Grösse abhängt. Es berücksichtigt dementsprechend die Ausgaben der Steuerzahlenden.

Das Modell des Familienquotienten entspricht auch dem Ziel der Fachkräfte-Initiative, da es Zweitverdienste nicht übermässig benachteiligt. Die Bundesverwaltung wollte aus beinahe dogmatisch anmutenden Gründen nicht darauf eintreten. Es ist höchste Zeit, diese Debatte aufzufrischen. Dazu sollte die Bundesverwaltung alle in Frage kommenden Besteuerungsmodelle einer Kosten-Nutzen-Analyse unterziehen. Die Frage ist: Wird sie dies tun, um eine neue Debatte zu ermöglichen und – vor allem – endlich eine Lösung zu finden, die der steuerlichen Benachteiligung der Ehe-paare gegenüber den Konkubinatspaaren ein Ende setzt? Die Saga geht weiter ...Alexa Krattinger,

Ressortleiterin sgv

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