Publiziert am: 19.03.2021

Die Meinung

Der Amtsschimmel wiehert mal wieder

Wir schreiben Covid-Krise, und der gesunde Menschen­verstand würde erwarten, dass sämtliche Kräfte auf eine erfolgreiche Krisenbewältigung ausgerichtet wären. Ich bitte den geneigten Leser um Nachsicht, wenn ich zu diesem Thema schon wieder mit einem kritischen Beitrag auffalle. Aber leider komme ich auch in Krisenzeiten nicht um die bedenkliche Feststellung umhin: Corona hin oder her – der Amtsschimmel wiehert nach Kräften.

Dieser Tage erreichte uns ein E-Mail von einem Kleinbetrieb mit unter zehn Mitarbeitenden aus dem Bernbiet. Wie er uns wissen liess, erhielt er in kürzlich Post vom Bundesamt für Statistik. Konkreter die freundliche Einladung, an einer Lohnstrukturerhebung teilzunehmen. Selbstverständlich obligatorisch und kostenlos – Antwort einzureichen bis Ende März!

Damit keine Missverständnisse entstehen: Selbstverständlich muss das Amt seiner Aufgabe nachgehen und statistisches Datenmaterial erfassen. Ob allerdings die existenzbedrohenden Auswirkungen der Covid-Krise schon in den eidgenössischen Amtsstuben angekommen sind, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Wie sonst wäre nur schon ein derartiges Vorgehen erklärbar?

Ironisch schreibt der Kleingewerbler ans hohe Amt zurück, dass seine Frau und er den freien Montagnachmittag dafür eingesetzt hätten, die Formulare nach bestem Wissen auszufüllen. Sarkastisch bezeichnet er sich als «Bünzli­schweizer», wohl weil er ansonsten dem hohen Amt ganz direkt gesagt hätte, man solle doch bitte wieder kommen, wenn er nicht mehr um seine Existenz kämpfen müsse...

Nun möchte man vermuten, das Wiehern des Amtsschimmels verklinge als Einzelfall ungehört in der Nacht. Doch weit gefehlt. Beim Schreiben dieser Zeilen läuft die Vernehmlassung zur Teilöffnung des Bundesrates aus dem Lockdown. Wenn diese Zeitung am Freitag erscheint, erfolgt die Information durch die Landesregierung.

Die Vernehmlassungsunterlagen sind auf der BAG-Homepage öffentlich zugänglich. Und deren Lektüre ist durchaus ein Erlebnis. So wird unter dem Kapitel «Arbeitsplatz» in sperrigem Amtsdeutsch vorgeschlagen: «Für Unternehmen, welche 80 Prozent der vor Ort tätigen Belegschaft mindestens einmal pro Woche testen, entfällt die Kontaktquarantäne am Arbeitsplatz für Personen, welche innerhalb des Betriebes mit der positiv getesteten Kontakt hatten.» Einfach ausgedrückt heisst das wahrscheinlich: 80 Prozent der Belegschaft müssen wöchentlich getestet werden. Wenn es innerhalb eines Betriebes zu einer Covid-Ansteckung kommt, gibt es für die gesunde Belegschaft keine Quarantäne. So weit, so gut. Doch dann wird’s kompliziert, steht doch im nächsten Satz: «Ausserhalb des Arbeitsplatzes müssen sich diese Personen jedoch in Kontaktquarantäne begeben.» Mit einiger Verwunderung sei die Frage erlaubt, wo der Unterschied zwischen einem Kontakt mit einer angesteckten Person innerhalb oder ausserhalb des Betriebes liegt. Und weshalb das unterschiedliche Konsequenzen hat? Und weiter: «Zudem müssen sie am Arbeitsplatz täglich getestet werden.» Ja was heisst das nun wieder? Wer sind «sie»? Und muss nun täglich getestet werden oder 80 Prozent der Belegschaft wöchentlich?

Fragen über Fragen. Die verwirrt Zurückgebliebenen darf ich trösten. Für alle offenen Fragen hat das BAG eine Hotline eingerichtet, die Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, jederzeit konsultieren können … Der Amtsschimmel wiehert und zieht weiter.

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