Publiziert am: 20.10.2017

Der Bundesrat widerspricht sich

E-VIGNETTE — Der sgv lehnt fiskalische Verkehrslenkungsmassnahmen ab. Der Einführung einer elektronischen Vignette steht der sgv deshalb skeptisch gegenüber. Es droht eine Einführung von Mobility Pricing durch die Hintertür.

Der Bundesrat will die elektronische Autobahnvignette, und er verstrickt sich dabei in Widersprüche. Zwar verweist er im beleuchtenden Bericht unter «Verworfene Massnahmen» explizit darauf, dass sich die Nationalstrassenabgabe «wegen des geringen Abgabebetrages und des pauschalen Charakters» nicht dazu eigne, «eine verkehrslenkende Wirkung zu erzielen». Doch gleichzeitig hält er an Versuchen mit Mobility Pricing fest.

Weg von der Klebevignette

Kürzlich endete die Vernehmlassung zur Revision des Bundesgesetzes über die Abgabe für die Benützung von Nationalstrassen (NSAG). Der Bundesrat möchte das seit 1985 geltende Abgabesystem für die Benützung von Nationalstrassen erster und zweiter Klasse von der Klebevignette zu einer elektronischen 
Vignette (E-Vignette) wechseln. Sie könnte von einem beliebigen Standort über eine Web-Applikation erworben werden. Nach erfolgter Bezahlung würde das Kontrollschild für die entsprechende Gültigkeitsdauer in der Systemdatenbank eingetragen. Inländischen Haltern und Halterinnen eines Fahrzeuges könnte eine vereinfachte Abwicklung über die Strassenverkehrsämter angeboten werden. Die Entrichtung der Nationalstrassenabgabe als Jahrespauschale soll beibehalten werden. Kontrollen erfolgen automatisiert. Halterinnen und Halter von identifizierbaren Fahrzeugen, für die keine Abgabeentrichtung in der Systemdatenbank registriert ist, werden nach Feststellung einer Widerhandlung gebüsst.

Die versteckte Agenda

Der Schweizerische Gewerbeverband sgv verschliesst sich modernen Techniken nicht und sieht die Chancen der Digitalisierung durchaus. Die vorgeschlagene Totalrevision folgt aber nur vermeintlich dem Digitalisierungstrend. So erscheint sie auf den ersten Blick als zeitgemässe Reformvorlage. Auf den zweiten Blick aber wird die «versteckte Agenda» ersichtlich, die hinter dem Entscheid steckt. Mit der E-Vignette werden letzten Endes die Grundlagen für Mobility Pricing geschaffen.

Mindestens 50 videobasierte Kontrollstandorte

Bereits 2015 legte der Bundesrat ein Konzept, 2016 und 2017 zwei Mo-
bility-Pricing-Berichte («Bundesrat vertieft Mobility Pricing mit kantonaler Wirkungsanalyse») vor. Seiner Ansicht nach soll, wer viel und auf beliebten Strecken zu attraktiven Zeiten fährt, mehr zahlen.

Dies hat Konsequenzen: Erfassungssysteme, Monitoring und Kontrollen machen entsprechende Installationen und ihre Wartung notwendig, was mit Investitionskosten verbunden ist. Das gilt auch für die E-Vignette. So rechnet der Bund zur Erhebung der Fahrzeuge mit der Einrichtung von 50 Kontrollstandorten. Millionen von Autonummern müssten hinterlegt werden. Zwar rechnet der Bundesrat mit einer Senkung der Betriebskosten. Anderseits geht er von zehn Prozent an nicht identifizierbaren Kontrollschilden aus. Angesichts der Millionen Fahrzeuge, die jährlich das Nationalstrassennetz frequentieren, ergibt das eine nicht zu unterschätzende Menge, die mit einem hohen Personalaufwand nachkontrolliert werden muss.

Viele Kompetenzen beim 
Bundesrat

Der vorgeschlagene Gesetzestext delegiert weitreichende Kompetenzen an den Bundesrat und ist ergebnisoffen formuliert. Ein Beispiel dafür ist die offene Bestimmung bezüglich Registrierung des Kontrollschildes bzw. des Fahrzeuges oder die Frage, wer mit welcher Technologie welche Daten erhebt.

«AUF DEN ZWEITEN BLICK WIRD DIE ‹VERSTECKTE AGENDA› ERSICHTLICH.»

Der sgv lehnt fiskalische Verkehrslenkungsmassnahmen ab und sieht dafür keinen Handlungsbedarf. Das seit 1985 existierende System mit der Klebevignette funktioniert – auch was die Kontrolle anbelangt – einwandfrei.

Dieter Kläy, Ressortleiter sgv

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