Publiziert am: 22.09.2017

Die heilige Kuh hat sich verrannt

WASSERKRAFT – Eine Branche sieht sich bedroht, ruft nach Rettung – und verlangt weitere Subventionen. Dabei darf nicht vergessen werden: Die Wasserkraft hat sich selbst der Gefahr ausgesetzt, sie sogar gesucht.

Die Strompreise liegen europaweit im Keller. Sie sind so tief, dass sie nicht nur den rentablen Betrieb von Anlagen verschiedenster Art erschweren. Sondern sie können auch die Infrastrukturkosten nicht (mehr) bezahlen. Das sagt die Stromwirtschaft. Unrecht hat sie nicht – zumindest nicht ganz. Denn die Strompreise sind seit langem schon tief. Doch was sind die Gründe dafür?

Massiv subventioniert

Die massive Subventionierung des Stroms ist zweifelsohne einer der Gründe für den Preiszerfall. In der Europäischen Union werden neue ­erneuerbare Energien praktisch flächendeckend subventioniert. Doch das ist nicht alles: In Deutschland wird die Stromerzeugung aus Kohle und in Frankreich die Nuklearenergie mit staatlichen Mitteln gefördert. Das führt zu einer Angleichung der Strompreise nach unten – ohne dass die Herstellungskosten der Wasserkraft reduziert werden können.

Der Glaube ans Paradies wankt

Wer nun aber denkt, die Subventionen in Deutschland seien alleine schuld an der Misere, der irrt sich. Denn viele Probleme der Schweizer Wasserkraft sind ebenfalls hausgemacht. Viele Wasserkraftunternehmen gebärdeten sich in der guten Zeit wie privatwirtschaftliche Firmen, weil sie stillschweigend annahmen, in den schlechten Zeiten würde der Staat für sie sorgen. Schliesslich ist der Staat bei vielen ein wichtiger Aktionär.

Statt sich auf verschiedene Zukunftsszenarien vorzubereiten, gingen viele von ewig steigenden Strompreisen aus. Noch im Jahr 2011 war es nicht ungewöhnlich, Vertreter der Wasserkraft verkünden zu hören: Der Strompreis geht nie mehr runter. Entsprechend haben sie ihre Investitionen und Erwartungen auf hohe Preise ausgerichtet. Zum Beispiel beträgt die Zielrendite des Gesamtkapitals bei Wasserkraftbetreibern um die sechs (!) Prozent. Im Zeitalter der Negativzinsen sei die Frage erlaubt: Wer kann das realistischerweise erwarten?

«Sechs PROZENT RENDITE – WER KANN DAS ERNSTHAFT ERWARTEN?»

Kommt dazu: Auch in der Schweiz gibt es Subventionen für Wasserkraft. Das Geld vom Staat mag zwar den Wasserkraft-Unternehmen helfen, es setzt aber die Preise der Wasserkraft noch zusätzlich unter Druck. Aber eben: Es waren die Firmen selber, die nach Subventionen riefen…

ZurĂĽck in den Stall fĂĽhren

Der Druck seitens der Wasserkraftunternehmen auf die Politik ist enorm. Dabei wurden im Rahmen der Energiestrategie 2050 Massnahmen beschlossen, ihnen zu helfen. Diese Massnahmen sind noch nicht in Kraft getreten, weil das revidierte Energiegesetz erst ab dem Jahr 2018 gilt. Und was tun die Wasserkraft­firmen? Statt abzuwarten, was diese Massnahmen – die sie selber wollten – bringen, schreien sie heute schon nach noch mehr Subvention.

Wer soll dafür bezahlen? Natürlich die «gebundenen» Kunden, also die Haushalte und KMU. Dagegen hat sich der Schweizerische Gewerbeverband sgv erfolgreich gewehrt. Doch abgewendet ist die Sache nicht.

Dabei wäre eine Übergangslösung einfach: Es ist abzuwarten, was die Massnahmen der Energiestrategie 2050 bringen. Dann sollen Wasserkraftfirmen ihre Zielrenditen von ihren sechs Prozent auf drei oder vier Prozent senken, so wie das der Rest der Wirtschaft tut. Zudem können die Unternehmen der Wasserkraft bestimmt noch ihre Verwaltungskosten optimieren. Und zuletzt ist zu fragen, ob nicht auch Kantone auf einen Teil der Wasserzinsen verzichten sollen.

Die Moral der Geschichte: Die Kuh ist nicht heilig, sie hat sich bloss verrannt. Sie in den Stall zurückzubringen, ist einfach – wenn bloss alle am gleichen Strick ziehen.

Henrique Schneider,
Stv. Direktor sgv

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