Publiziert am: 22.10.2021

«Die Natur gibt den Takt an»

WEINBAU – In mindestens 22 der insgesamt 26 Kantone wird heute Wein angebaut – auch im Kanton Aargau.

Die Wehrli Weinbau AG in KĂĽttigen produziert den Staatswein 2021. Die Winzerin Susi Steger-Wehrli hat viel FingerspitzengefĂĽhl im Umgang mit ihren Reben und setzt auf ein gesundes Ă–kosystem.

Schweizerische Gewerbezeitung: Sie sind Winzerin und fĂĽhren in 3. Generation mit ihrem Bruder Rolf Wehrli die KĂĽttiger Wehrli Weinbau AG. Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit mit den Reben besonders?

Susi Steiger-Wehrli: Die Arbeit mit den Reben ist unglaublich bereichernd im Sinne des Lebensflow. Das heisst konkret, die Reben geben den Takt vor, wie man die Arbeit einteilt und somit auch das Leben – und das in einer unglaublichen Balance. Die Reben können uns durch ihre Vegetationsperiode vom Rebschnitt bis zur Traube durch viele unterschiedliche Lebenslagen führen – beruhigend, steigernd, entwickelnd. Aber als Winzerin erlebe ich in meiner Berufung auch Hektik und moderaten Stress. Das vitalisiert mich immer wieder. Ich bin fasziniert und dankbar, dass ich jedes Jahr die Reigen der vier Jahreszeiten und der Natur so bewusst wahrnehmen darf. Dazu gehört auch das Klima, das uns immer wieder belehrt und neue Erfahrungen schenkt.

Die grossen Weinberge befinden sich im Wallis, der Westschweiz und im Tessin. Doch auch im Mittelland werden gute Weine produziert. Wieso gedeihen die Reben gerade hier in KĂĽttigen so gut?

In Küttigen haben wir ein sehr spannendes Terroir – natürliche Faktoren wie Rebe, Boden, Klima, die dem Wein seinen Charakter geben –, das macht unseren Wein einzigartig. Die sensorische Wahrnehmung wird hier für die Weingeniesser entwickelt. Küttigen liegt an einem Südhang des Jurasüdfusses. Der Rebberg erblickt den Säntis bis Eiger, Mönch und Jungfrau. Die Sonne ist dadurch von morgens bis abends präsent. Die Aare, die ebenfalls vor unserem Rebberg fliesst, kann auch Winde erzeugen. Das Klima hier im Mittelland bringt Wärme.

Was ist charakteristisch fĂĽr Ihre Aargauer Weine?

Unsere Weine entwickeln sich nach dem Terroir. Sie gedeihen in Rebbergen, die auf Muschelkalk-, Eisenerz- und Moränenboden wachsen – damit sind viele Mineralien für die Trauben verfügbar. Dadurch wird der Wein vollmundiger und breiter und gibt unseren Weinen markante sensorische Charaktere – sei es in der Aromatik oder im Gaumen. Der Kanton Aargau besitzt über neun verschiedene Bodenarten, dabei drei unterschiedliche Hauptbodentypen wie Eisenerz, Moräne und Muschelkalk. Von Schluff bis Schotter – alles ist in unserem Kanton vorhanden, und das dank der Jura- und Triaszeit.

Wie viel Liter Wein produzieren Sie jährlich?

Wir produzieren ca. 120 000 bis 150 000 Liter pro Jahr.

Sie erhielten dieses Jahr vom Kanton Aargau die Gewinnerurkunde für den Staatswein in der Kategorie Weisse Spezialität. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung und wieso ist dieser ausgezeichnete Aargauer Staatswein 2021 (Pino Gris Brestenberg 2020) so gelungen?

Als uns die Gewinnurkunde des Staatsweins 2021 übergeben wurde, waren wir einfach nur dankbar und stolz. Für uns ist das eine riesengrosse Wertschätzung. Die Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen: Sie war während unserer Arbeit dauernd im Hinterkopf präsent. Wir haben uns aber nicht aus dem Konzept bringen lassen und trotzdem qualitativ hochstehende Weine produziert. Die tiefe Verbundenheit mit den Reben und der Natur haben uns während der Pandemie Kraft gegeben und uns motiviert und den Zusammenhalt unserer Weinbaufamilie noch verstärkt. Ich glaube, dies hat unter anderem zu diesem Spitzenergebnis geführt.

Wie fällt die diesjährige Ernte aus?

Die Ernte 2021 ist noch nicht vorbei, aber dieses Jahr ist miserabel. Wir haben fast keinen Ertrag, es ist zwar unterschiedlich, je nach Sorte etwas mehr oder dann fast nichts. Der Grund war der lang andauernde Regen, der einen grossen, flächendeckenden Pilzbefall hervorruft – der sogenannte Mehltau. Immerhin sind wir auf unserem Weingut vom Hagel verschont geblieben. Ein solcher Schaden kann mehrere Jahre den Ertrag der Ernte und das Wachstum beeinflussen – die Reben müssen sich danach wieder eingliedern. Wir waren in den letzten Jahren bezüglich Traubenerträge verwöhnt worden. Auch schlechte Jahre gehören dazu – die Natur gibt den Takt an. Solche geringen Ernten treiben uns Winzer zu Höchstleistungen an. Wir machen so wieder wertvolle Erfahrungen im Rebberg und stellen uns den Herausforderungen der Natur.

Als Weinbaufamilie engagieren Sie sich fĂĽr den Berufsnachwuchs. Wieso hat das Ausbilden von Lernende bei Wehrlis so grosse Tradition?

Dieser Beruf hat Zukunft. Wir sind stolz, junge Winzerinnen und Winzer ausbilden zu dürfen. Es macht uns Freude, dieses schöne Handwerk zu vermitteln und so auch sicherzustellen, dass die nächsten Generationen für Nachhaltigkeit in der Natur und eine gesunde Biodiversität besorgt sein werden.

Sie haben auf Ihrem Weinbau ein ökologisches Grossprojekt in Angriff genommen und einheimische Pflanzen unter den Reben angebaut. Welchen Einfluss hat diese Biodiversität auf die Qualität Ihrer Weine?

Die Reben sind sehr anpassungsfähig. Andere Pflanzen hingegen werden schnell verdrängt durch stärkere Arten, und das kann zu Monokulturen führen. Neophyten stören die Balance unseres Ökosystems – unsere grösste Sorge in der Schweizer Landwirtschaft. Wir wollen mit unserem Grossprojekt einen Beitrag dazu leisten und das natürliche Ökosystem fördern. Die Balance unter den Pflanzen soll wiederhergestellt werden und sie sollen sich gegenseitig stärken. So pflanzen wir beispielsweise wilden Thymian, der eine homöopathische Wirkung gegen Pilzkrankheiten hat. Eigentlich ist das nichts Neues – wir gehen wieder zum Ursprung zurück. Dank eines funktionierenden Ökosystems wird die Rebe gestärkt und produziert kräftige Trauben.

Haben Sie noch mehr solche Projekte in der Schublade?

Klar haben wir noch weitere nachhaltige Projekte in der Schublade. Sie sind aber noch nicht spruchreif.

Was wĂĽnschen Sie sich fĂĽr die Zukunft fĂĽr Ihre Unternehmen?

Unser Unternehmen soll weiterhin «gesund» bleiben – das Team, die Reben wie auch finanziell. Ich wünsche mir, dass unser KMU ein Vorzeigebetrieb ist – nicht nur jetzt, auch künftig. Der Geist unser Weinbaufamilie soll stets weiterleben. Unser Ziel ist es, mit viel Ehrgeiz, Innovation und Kreativität mit der Natur zusammenzuarbeiten und ein hochstehendes, edles Produkt herzustellen.

Interview: Corinne Remund

WEHRLI WEINBAU AG

Herzblut für Weine – in der 3. Generation

Die Wehrli Weinbau AG in Küttigen produziert Schweizer Weine, weil man Heimat riechen und schmecken soll. Nebst dem Hegen und Pflegen der Reben und der Produktion der Weine bietet das KMU Beratungen, Führungen, Degustationen sowie Kurse und Seminare an. So findet am Samstag, 4. Dezember 2021 der alljährliche Weihnachtsverkauf mit Degustation und Weinverkauf statt. Die Weinbaufamilie engagiert sich seit Jahren für den Nachwuchs und bildet Lernende aus.

www.wehrli-weinbau.ch

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