Publiziert am: 16.06.2017

«Die Zeit ist jetzt reif dafür»

ENERGIE – Die Nationalräte Gerhard Pfister (CVP), Christian Wasserfallen (FDP) und Hansjörg Knecht (SVP) fordern, dass der Strommarkt liberalisiert wird – zugunsten von Privaten und KMU.

Schweizerische Gewerbezeitung: Sie waren ein Gegner des Energiegesetzes, welches das Volk am 
21. Mai klar angenommen hat. Wie geht es nach dem Ja in der Schweizer Energiepolitik weiter?

nChristian Wasserfallen: Die Herausforderungen sind die gleichen wie vor der Abstimmung: Wir müssen die Versorgungssicherheit vor allem im Winterhalbjahr lösen, einen neuen Strommarkt schaffen, der wieder Investitionen z.B. in Wasserkraft zulässt, und endlich den Endkundenmarkt vollständig liberalisieren.

 

Die Gegner der Vorlage befürch­teten, die Versorgungssicherheit der Schweiz mit Strom sei nach einem Ja gefährdet. Wovon hängt diese eigentlich ab?

nGerhard Pfister: Versorgungssicherheit bedeutet, dass wir in der Schweiz zu jeder Zeit genügend Energie beziehen können. Um dies zu erreichen, muss die Netz­infra­struktur gewährleistet sein. Die Strategie Stromnetze, welche im Moment im Parlament behandelt wird, ist eine Weichenstellung für die zukünftige Sicherheit dieser wichtigen Infrastruktur.

Die Versorgungssicherheit bedingt ebenfalls, dass es Strom auf dem Netz hat. Mit der Energiestrategie 2050 haben wir einen ersten Schritt gemacht, um die Kapazitäten der Schweiz auszubauen. Es werden aber noch weitere Massnahmen nötig sein, um auch in Zukunft genügend Strom zur Verfügung zu haben.

 

Der Nationalrat hat es klar 
abgelehnt, der Wasserkraft noch stärker unter die Arme zu greifen. Was ging Ihnen durch den 
Kopf, als dieses Begehren in der nationalrätlichen Energiekommission durchgekommen war?

nHansjörg Knecht: Es bestand ein Konsens, dass die Wasserkraft für die Schweizer Stromversorgung wichtig ist und überlebensfähig bleiben muss. Der Kommissions­entscheid war ein weiterer Vorschlag, welcher aber richtigerweise im Plenum abge­lehnt wurde. Die weitere Unterstützung der Wasserkraft muss in einem grösseren Zusammenhang angeschaut werden. Dazu gehört auch die Frage der Wasserzinsen. Es kann nicht sein, dass unsere KMU und Kleinverbraucher alleine die ganze Zeche der Energiestrategie berappen, während die Grossen geschont werden.

 

Hand aufs Herz: Auch die ­Kernenergie-Lobby rief bereits nach dem Staat, kaum liefen die Geschäfte schlechter...

nChristian Wasserfallen: Das muss endlich aufhören. Diese Anlagen – egal, ob es Wasserkraftwerke oder Kernkraftwerke sind – gehören über die jeweiligen Beteiligungen den Kantonen. Diese haben in den fetten Jahren massiv davon profitiert und sollen jetzt nicht die Probleme ohne Not auf den Bund abwälzen. Hinzu kommt, dass die Stromfirmen seit Jahren riesige Dividenden an ihre Eigen­tümer entrichten müssen und die Wasserzins-Abgabe für die Wasserkraft über eine halbe Milliarde pro Jahr beträgt. Diese staatlichen Abgaben – die höchsten in ganz Europa – sind zu senken.

Sie setzen sich dafür ein, dass der Strommarkt sehr bald liberalisiert werden soll. Weshalb muss das jetzt schnell gehen?

nGerhard Pfister: Die heutige Diskussion über die Soforthilfemassnahmen für die Wasserkraft zeigen, dass in einem teilliberalisierten Markt die Mehrkosten immer auf die gebundenen Kunden abgewälzt werden. Die Marktkräfte können in einem teilliberalisierten Markt nicht spielen. Das müssen wir ändern.

Der zeitliche Druck für die Liberalisierung kommt vor allem auch vom inter­nationalen Umfeld. Um im internationalen Markt zu bestehen und ein Stromabkommen mit der EU abzuschliessen, braucht es eine Liberalisierung.

nChristian Wasserfallen: Wir haben bereits 2002 darüber abgestimmt, und leider wurde die Liberalisierung abgelehnt. Das Resultat: Es gibt eine Zweiklassen­gesellschaft unter den Energieversorgern. Jene mit vielen und jene mit wenigen gebundenen Endkunden wie KMU oder Privatpersonen. Entsprechend unter­schiedlich sind die Verdienste, was jetzt kritisiert wird.

Die Zeit für eine Strommarktliberalisierung ist jetzt reif, da auch auf der Angebots­seite dringend Lösungen gefunden werden müssen, wie wir in der Schweiz wieder in die Stromproduktion investieren können.

nHansjörg Knecht: Die Energiepolitik hat sich an den Prinzipien Nachfrage, Wirtschaftlichkeit, Unabhängigkeit und Umweltfreundlichkeit zu orientieren. Dies kann nur mit weiteren Schritten hin zu einem liberalisierten Strommarkt erreicht werden.

 

Wäre es nicht am Bundesrat, hier Tempo zu machen? Immerhin hat er schon 2014 einer schnellen Liberalisierung das Wort geredet.

nChristian Wasserfallen: Die Vorlage wurde bereits einer Vernehmlassung unterzogen und ist bereit. Ich verstehe nicht, auf was man wartet. So könnten alle Kunden ihr Stromprodukt frei wählen.

 

Gibt es eigentlich eine Gewissheit, dass die Strompreise für Private und KMU durch die Liberalisierung wirklich sinken werden?

nHansjörg Knecht: Absolute Gewissheit gibt es nie. Wahlfreiheit bringt jedoch Transparenz und Gleichbehandlung sowie Wettbewerb um das beste Angebot. Interessenkonflikte können so entflechtet werden, was sich zumindest in ausge­glichenen Preisen niederschlagen wird. Durch die Energiestrategie 2050 ausgelöste Preiserhöhungen werden wahrscheinlich aber die Verbesserungen leider wieder zunichtemachen.

 

Falls es diese Gewissheit nicht gibt: Weshalb ist eine Liberalisierung dennoch im Sinne von KMU und Privatverbrauchern?

nGerhard Pfister: Die Strompreise werden international bestimmt. Die Schweiz hat auf deren Entwicklung nur sehr wenig Einfluss. Die KMU und Privatpersonen profitieren aber nicht nur hinsichtlich der Preise von der Liberalisierung. Die heute gebundenen Kunden haben dank einer Liberalisierung mehr Freiheit beim Einkauf ihres Stroms. Sie können nicht einfach nur den günstigsten Strom wählen, sondern vor allem auch jenen Strom, aus dessen Herkunft sie ihn sich wünschen.

 

Wo erwarten Sie Widerstand gegen die Liberalisierung des Strommarkts, und was halten Sie von den Gründen der Gegner?

nHansjörg Knecht: Der Widerstand gegen Liberalisierungen kommt traditions­gemäss von Links. Die Gewerkschaften warnen übertrieben vor einem Stellenabbau. Diese Angst ist umso mehr unbegründet, als dass parallel zur Strommarktöffnung die Energiestrategie 2050 weitergeführt wird, wo mit Subventionen und Staatsinterventionen sogar gegenteilige Effekte ausgelöst werden.

nGerhard Pfister: Die Linken werden sich aus rein ideologischen Gründen gegen eine Liberalisierung des Strommarkts wehren. Dies ist keine sachliche Haltung und verhindert die wichtige Diskussion über die für die Schweiz bestmögliche Stromver­sorgung. Für verschiedene Interessensgruppen, wie Umweltorganisationen oder die Berg- und Randregionen, ist eine Liberalisierung an gewisse Bedingungen geknüpft. Seien dies Grundversorgungsgarantien oder die Weiterführung der Förderung von erneuerbaren Energien. Diese Argumente muss man ernstnehmen und die Liberalisierung so ausgestallten, dass die übergeordneten Ziele der Schweiz weiterhin erfüllt werden.

nChristian Wasserfallen: Es sind ideologische Gründe, die dagegen ins Feld geführt werden. Viele wollen nur einige Stromproduktionsformen im Markt akzeptieren, andere sind generell gegen Liberalisierungen. Tatsache ist: Den oftmals sehr unterschiedlichen Stromtarifen kann nicht ausgewichen werden. In Deutschland, wo der Markt bereits seit einiger Zeit spielt, haben sich rund ein Drittel der Kunden aktiv um günstigere Preise oder weitere Produkte wie smarte Stromlösungen bemüht. Dieser Schritt wird neue innovative Stromversorgungs­lösungen bringen, und die Branche wird dynamischer.

 

Der Bundesrat will Verhandlungen mit der EU abwarten und erst dann eine Liberalisierung einleiten. Braucht er wirklich das Einverständnis aus Brüssel?

nGerhard Pfister: Es braucht natürlich kein Einverständnis von Brüssel für die Strommarktliberalisierung der Schweiz! Jedoch dürfen wir nicht ignorieren, dass der Strommarkt sehr international geprägt ist. Die Schweiz kann für sich alleine keine geeigneten Lösungen finden, ohne das Ausland mit einzubeziehen. Deshalb ist es für die Liberalisierung – aber auch für die Versorgungssicherheit der Schweiz – wichtig, dass ein Stromabkommen mit der EU zustande kommt.

 

Auf welchen Zeitpunkt erwarten Sie realistischerweise eine volle Öffnung des Strommarkts für alle Schweizer Konsumenten?

nHansjörg Knecht: Ich rechne damit, dass eine Strommarktöffnung nicht vor 2020 möglich sein wird. Der Bundesrat hält sich bedeckt, die aussenwirtschaftspolitischen Entwicklungen sind ungewiss und mit der Energiestrategie sind Kräfte entfesselt, die tendenziell lieber nach dem Staat rufen, anstatt Eigenverantwortung und liberale Werte hochzuhalten.

Interview: Gerhard Enggist

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