Publiziert am: 23.05.2014

Droht ein neuer Ausverkauf?

TRIBÜNE

Die besten Schweizer Eigenschaften sind mehr in den Gewerbebetrieben und in vielen kleinen und mittleren Unternehmen zu finden als in den grossen Konzernen, die ihre Produktion in Staaten ausgelagert haben, wo der Preis des Menschen keine Rolle spielt. Im Gewerbe wie bei den KMU arbeiten die Eigentümer-Chefs oft rund um die Uhr und haben langjährige und vertrauenswürdige Mitarbeiter, die jeden Fehler sofort bekämpfen. In den staatlichen Verwaltungen herrscht vielerorts eine Verschlampung, die sich in teuren IT-Skandalen bemerkbar macht oder in ungelösten Aufgaben der Sozialarbeit, der Ausländer-Verwaltung, des Militär- oder des Verkehrswesens. Dennoch häufen sich gerade jetzt die Dossiers auf meinem Schreibtisch, wo seriöse Schweizer KMU-Unternehmer ihre Firmen abstossen möchten. Nach Jahrzehnten harter Arbeit nimmt der Druck von aussen von allen Seiten zu, die Zweifel an der Vernunft der staatlichen Spitzen wächst, und Geld ist noch genügend im Land, um eine Ablösung durch jüngere Kräfte zu finanzieren.

I n der Unternehmerschaft wachsen die Zweifel, ob unsere politische Führung den Herausforderung der kommenden Jahre gewachsen ist. Der Bundesrat ist seit langem nicht mehr in der Lage, eine ganzheitliche Vorstellung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu vermitteln. Die bürgerlichen Parteien geben sich wirtschaftsliberal zum Vorteil der Konzerne, die politische Linke verbündet sich mit konservativen und grünen Kräften, um liberale Freiheiten einzuschränken. Am schlimmsten ist die Annahme, unter Führung von EDA-Chef Didier Burkhalter, FDP, und seinem SP-Staatssekretär Yves Rossier, würde die Schweiz nach der Abstimmung vom 9. Februar nicht von der EU weg, sondern in die EU hineinmanövriert. Soll denn alles umsonst gewesen sein? Sind wir tatsächlich in der EU bereits angekommen, wie der Genfer FDP-Regierungsrat Pierre Maudet es formuliert – oder lohnt sich der Kampf um die Selbständigkeit noch?

Auch hinter den Kulissen hört man viele bürgerliche Stimmen, die unserem Aussenminister Didier Burkhalter unterstellen, er wolle bis zum Herbst mit seinem Studienfreund David O’Sullivan, dem Generaldirektor des Auswärtigen Dienstes der EU, noch eine bindende Vereinbarung treffen. Geht O’Sullivan dann als Botschafter nach Washington, ist die Option abgelaufen, man könne mit der Schweiz eine höhere Stufe der Zusammenarbeit finden. Beide, Burkhalter wie O’Sullivan, brauchen einen Erfolg.

Schon der Verdacht einer möglichen Unterwerfung der Schweiz unter EU-Behörden, wie es der Europäische Gerichtshof eine ist, trifft echte Schweizer Unternehmer ins Mark. Sie arbeiten nicht nur für ihre Firmen oder für ihren – oft spärlichen – Gewinn, sondern auch für ihr Land, die Schweiz. Sie zahlen ihre Steuern freiwillig und pünktlich, sie leisten Sozialabgaben – aber doch bitte nicht «für Brüssel».

Der Stolz wie der Fleiss des kleinen und mittelgrossen Schweizer Unternehmers ist sehr eng verbunden mit dem Gedanken, man leiste dies für die Unabhängigkeit des Landes. Jeder Rappen, den er dem Staat zahlt, muss dazu dienen, diesen zu erhalten und besser zu machen. Er sieht dies anders als die grossen Handelsfirmen der globalen «traders», die keine oder kaum Steuern zahlen, anders als die Bankiers, die in der Schweiz Geld verdienen, um es im Ausland wieder zu verspielen, anders als die Tochter­firmen ausländischer Konzerne, die in der Schweiz jedes Jahr Milliarden verdienen, um sie dann in ihre Heimatländer zu transferieren.

W er nicht will, dass Geld für jeden alles ist, muss den Glauben an eine von der EU unabhängige Schweiz erhalten, die den Einsatz der Gerechten, Fleis­sigen und Tüchtigen lohnt. Erwecken Bundesrat und Parteien weiter den Eindruck, als wollten sie das Land ans Ausland verkaufen, wird der Schweizer Mittelstand die Waffen strecken, ganz wie es viele Inhaber der grössten Schweizer Firmen längst getan haben.

*Klaus J. Stöhlker ist Unternehmensberater für Öffentlichkeitsbildung in Zollikon ∕ZH.

Die Tribüne-Autoren geben ihre eigene Meinung wieder; diese muss sich nicht mit jener des sgv decken.

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