Publiziert am: 23.10.2020

Die Meinung

Ein zweiter Lockdown liegt schlicht nicht drin

Ein Gedankenexperiment: Ein unbeteiligter Beobachter kommt in die Covid-Schweiz. Welchen Eindruck erhält er auf seiner Entdeckungsreise durch unser Land? Was fällt ihm auf? Welche Gedanken macht er sich, wenn er seine Tour beendet?

Als Erstes nehmen Augen des Beobachters die Statistiken wahr. Die Zahl der positiv Getesteten schnellt in die Höhe. Seine Augen aber, sie suchen vergeblich nach anderen Indikatoren. Die Zahl der an Covid-19 Erkrankten wird nicht publiziert, bloss jene der Infizierten. Bekanntlich ist nicht jede positiv getestete Person krank.

Der Beobachter vernimmt von einer immer noch grossen Gruppe der Bevölkerung, wie gut der Bundesrat durch die Krise navigiere. Von einem Viertel der Bevölkerung vernimmt er aber viel Kritik. Der Bundesrat mache zu viel. Diese Gruppe bestand einmal aus kaum zehn Prozent der Bevölkerung, inzwischen ist sie markant angewachsen. Und dann erreichen auch Rufe nach mehr Massnahmen die Ohren des Beobachters. Und er staunt nicht schlecht, als er merkt, dass die lautesten Rufer gar nicht in der einfachen Bevölkerung zu finden sind. Es ist die vermeintlich neutrale Presse, welche nicht nur ruft, sondern fast schon schreit. Staunend nimmt der Beobachter zur Kenntnis, welcher Mittel sich die Presse immer öfter bedient, um Covid-19-Berichte zu erstatten: Pranger, Denunziantentum – ein wildes Geschrei nach stets neuen Forderungen.

Und was ist mit der Politik? Auf seiner Tour de Suisse stellt der Beobachter fest, wie einheitlich und konzis die Eidgenossenschaft und die Kantone am Anfang gehandelt haben. Dann fällt ihm aber auf: Zunehmend wird es schwieriger. Exekutiven auf kantonaler und nationaler Ebene lassen sich durch die medialen Schreihälse antreiben – bis auch sie in den Chor einstimmen. Mittlerweile hört der Beobachter eine neue Kampfparole: «Mini-Lockdown» heisst das neue Zauberwort.

Gerade im Zusammenhang mit dem neuen Geschrei nach einem «Mini-Lockdown» spürt der Beobachter den Unmut vieler KMU. Denn ein zweites Hinunterfahren der Schweizer Wirtschaft wäre kaum zu stemmen. Auch jene, die schon unter dem Lockdown des März gelitten haben, gestehen dem Beobachter ungeniert ihre Ängste. Solche Massnahmen führen in die Isolation, zum Verlust des gemeinschaftlichen Zusammenlebens und in die Existenzbedrohung, meinen sie.

Der Beobachter verlässt die Covid-Schweiz mit gemischten Gefühlen. Einerseits hat sich das Land viel besser gehalten als viele andere europäischen Länder. Mit dem «Smart Restart» ist der Schweiz gelungen, was in anderen Staaten kaum oder gar nicht geklappt hat: Das Leben in Wirtschaft und Gesellschaft hat wieder an Fahrt gewonnen. Mehr noch: Die Schweiz konnte ihre schlimmste Krise seit den 1970er-Jahren abwenden.

Andererseits steht das Land an einer wichtigen Wegscheide. Werden etwa alle Erfolge mit einem zweiten Lockdown aufgegeben? Selbst wenn sie es verniedlichend als «Mini-Lockdown» titulieren: Wissen die Schreier wirklich, was sie da verlangen? Haben sie vergessen, dass alle Firmen Schutzkonzepte haben? Wissen sie wirklich nicht, dass die meisten Ansteckungen im privaten Rahmen geschehen? Und dass der Schutz von Risikogruppen viel wirksamer ist als Breitenmassnahmen?

Der Beobachter ist verwundert. Und er ist besorgt – und fragt sich voller Sorge, wohin die Schweiz im Herbst 2020 treibt.

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