Publiziert am: 04.03.2022

Eine grosse Baustelle

REGULIERUNG – Das Kartellgesetz der Schweiz ist um die 25 Jahre alt. Seit seiner Verabschiedung im Jahr 1995 wurde es schon diverse Male angepasst. Eine Totalrevision gelang aber noch nie – und das ist gut so.

Die Schweizer Wettbewerbsgesetzgebung hat einen grossen Vorteil gegenüber ähnlichen Regulierungen weltweit. Sie ist ökonomisch sinnvoll – aus zwei Gründen: Erstens fokussiert sie auf die stärkste Form der Bildung von Marktmacht, die Fusion, dann kümmert sie sich um den Missbrauch von Marktmacht und erst dann um die Kooperation zwischen Unternehmen. Damit geht die Gesetzgebung den echten ökonomischen Problemen nach.

«Bei Fusionen zeigen sich die Wettbewerbshüter grosszügig – insbesondere bei Staatsunternehmen.»

Zweitens – und das ist insbesondere bei der Kooperation wichtig – ist das Kartellgesetz eine Missbrauchsgesetzgebung. Nur volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen werden geahndet und gebüsst. Andere Länder haben eine Verbotsgesetzgebung, welche einige Formen der Kooperation grundsätzlich verbietet. Es wäre dann an den Firmen, welche diese Zusammenarbeitsformen eingehen wollen, zu zeigen, dass sie zu volkswirtschaftlichen Vorteilen führen. Das sind Regulierungskosten pur.

Praxis widerspricht dem Gesetz

Auch wenn die Grundlage stimmt, widerspricht die Praxis der Wettbewerbsbehörden in der Schweiz der Wettbewerbsgesetzgebung. Bei den Fusionen zeigen sich die Wettbewerbshüter grosszügig, insbesondere bei Staatsunternehmen. «Gateway Basel Nord» ist ein Beispiel dafür. Die Marktmacht, die dadurch aufgebaut ist, ist gross – und sie drängt KMU aus dem Markt. Das anerkennt die Behörde. Sie lässt aber das Projekt trotzdem zu. Warum? Das geht aus der Begründung nicht schlüssig hervor. Allgemein-abstrakt wird von «Effizienz» gesprochen.

Auch bezüglich des Missbrauchs der Marktmacht liess die Wettbewerbsbehörde gewähren. Es brauchte die «Fairpreis-Initiative», um den Wettbewerbshütern Beine zu machen.

Umgekehrt ist es bei den Kooperationen. Hier wird durchgegriffen und dabei das Gesetz verletzt. Denn Wettbewerbskommission und Gerichte haben eigenmächtig beschlossen, die Missbrauchsgesetzgebung über Bord zu werfen. Bei einigen Kooperationen nehmen sie nur noch formale Überprüfungen vor. Wenn ein formaler Grund vorliegt, werden die Kooperationen verboten und die Akteure gebüsst.

ZurĂĽck zum Gesetz

Gerade um diese klammheimliche Einführung der Verbotsgesetzgebung in abgedunkelten Behördenstuben zu korrigieren, nahm das Parlament die «Motion Français» an. Sie will nichts anderes als die gesetzlich verankerte Missbrauchsgesetzgebung umsetzen. Eigentlich wäre das die Aufgabe der Behörden und Gerichte. Doch wenn die Staatsangestellten es nicht tun wollen, ist es an der Vertretung des Volks und der Stände, dies zu korrigieren.

Mit der Überweisung der Motion Français entschied sich der Bundesrat, eine kleinere Revision des Kartellgesetzes zu lancieren. Ihr wichtigster Punkt ist die nochmalige Verankerung der Missbrauchsgesetzgebung im Gesetz, um das Gesetz behördenverbindlich zu machen. Ein anderer Punkt ist die Umsetzung der «Motion Fournier». Der ehemalige Vizepräsident des Schweizerischen Gewerbeverbands wollte die Wettbewerbsprozesse mit Ordnungsfristen verkürzen. Er wollte auch, dass Unternehmen, wenn sie zu Unrecht in die Fänge der Wettbewerbsbehörde kommen, entschädigt werden. Das Parlament hat auch dieses Anliegen überwiesen.

Kleine Revision

Weiter sollen die Zusammenschlusskontrolle, das Kartellzivilrecht und das Widerspruchsverfahren angepasst werden. Auch wenn die Stärkung der zivilrechtlichen Durchsetzung des Kartellrechts ein gutes Anliegen ist, sind diese drei Inhalte doch untergeordnet. Deswegen wird auch hier von einer «kleinen Revision» gesprochen.

Die Reform der Wettbewerbsbehörden hingegen ist nicht Gegenstand dieser Revision. Verschiedene andere Organisationen der Wirtschaft werden aber diesen Punkt in ihren Vernehmlassungsantworten aufbringen. Sollte darauf eingetreten werden, wird diese Revision alles andere als «klein» sein. Denn die letzte Revision ist gerade an dieser Frage, zusammen mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Verbotsgesetzgebung, gescheitert.

Der Revisionsprozess ist eröffnet und wird Verwaltung, Verbände und Politik sicherlich noch einige Jahre beschäftigen.

Henrique Schneider,

Stv. Direktor sgv

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