Publiziert am: 10.06.2016

Eine weitere Chance wurde vertan

LADENÖFFNUNGSZEITEN – Der Online-Handel kennt keine Öffnungszeiten, und die Einkaufsmöglichkeiten jenseits der Grenze sind beliebt. Gerade auch deshalb täte eine Flexibilisierung in der Schweiz not. Doch der Ständerat sah das anders – schade...

Die Schweiz verfügt über einen Erfolgsfaktor: ihren Pragmatismus. Dank ihm ist unser Land wohlhabend, die Lebensqualität hoch und die Politik lösungsorientiert. Sind wir dabei, den Pragmatismus zu verlieren?

«das gesetz wollte 
den unternehmen bloss etwas mehr 
flexibilität erlauben.»

«Deutschland hat es geschafft, in sechs Monaten die Ladenöffnungszeiten zu flexibilisieren», sagt der deutsche Handelsökonom Clemens Fuerst. «Die Schweiz arbeitet schon seit 2011 daran. Wenn Deutschland auf einmal politisch flexibler als die Schweiz ist, dann stimmt einfach etwas nicht mehr...»

Individuelle Entscheidung

Ein Blick auf die Tatsachen zeigt, wie ernst die Lage ist. Das Bundesgesetz über die Ladensöffnungs­zeiten (LadÖG) sah vor, dass ­Detailhandelsbetriebe montags bis freitags von 6 bis 20 Uhr und samstags von 6 bis 19 Uhr geöffnet sein dürfen. Der Sonntag sowie die Abend- und Nachtarbeit sind nicht betroffen.

Weder begründet dies für die Geschäftsinhaber eine Pflicht, über die ganze Zeit offen zu haben, noch führt diese Norm zu mehr Arbeitsstunden. Es geht nur darum, den unternehmerischen Spielraum zu vergrössern. Wie ein einzelnes Geschäft damit umgeht, ist seine eigene und individuelle Entscheidung.

Pingpong um Atmosphärisches

Das Gesetz war ökonomisch sinnvoll und juristisch unbedenklich. Kein Problem – eigentlich. Und trotzdem ging nichts vorwärts. Unbegründete Ängste wurden heraufbeschworen. Metaphysisches wurde bemüht. Irgende einen konkreten Mangel am Gesetz mit seinen gerademal zwei Artikeln hat im Parlament niemand gefunden. Umso mehr wurde dagegen polemisiert. Gewerkschaften drohten – einmal mehr – sogar mit einem Referendum.

Der Nationalrat stand von Anfang an hinter dem Gesetz. Doch der Ständerrat lehnte es ab. Dann ging die Vorlage zurück an Nationalrat. Der machte erneut klar: Eine Flexibilisierung des Unternehmertums ist gut und unbedenklich. Selbst der Bundesrat machte sich – ausnahmsweise – für Pragmatismus stark. Aber nun ist der Ständerat diese Woche ein zweites Mal nicht eingetreten. Und so wurde das Ladenöffnungsgesetz definitiv versenkt.

Niemand muss müssen

Nochmals: Das Gesetz schreibt nichts vor. Es begründet keine Pflicht. Niemand muss irgendetwas am eigenen Alltag ändern. Es wollte bloss den Unternehmerinnen und Unternehmern mehr Flexibilität geben. Damit stand das Ladenöffnungsgesetz in der guten Tradition eidgenössischen Pragmatismus’.

Man soll aus dem Absturz des LadöG nicht einen Elefanten machen. Doch er deckt Probleme auf. Das Hauptproblem: Flexibilisierungen, auch in sehr kleinen Schritten, haben es hierzulande schwer. Sie werden politisch mit fadenscheinigen Argumenten bekämpft. Und das dumpfe, unkonkrete Angstgefühl allein ist schon in der Lage, alle vom Handeln abzuhalten. Wirtschaftliche Fortschritte werden so nicht nur gelähmt, sondern verunmöglicht.

Wo bleibt der Pragmatismus?

In den mittlerweile fünf Jahren, in denen die Schweiz über dieses ­Gesetz diskutiert, hat Deutschland schon viele Flexibilisierungen durchgemacht. Die Frage sei erlaubt: Ist die Schweiz strukturverliebt? Ist uns der Pragmatismus abhandengekommen? Hoffentlich nicht, denn das wäre tatsächlich ein höchst ungutes Zeichen! Auch wenn die Realität im vorliegenden Fall etwas anders zeigt: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Henrique Schneider,

Stv. Direktor sgv

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