Publiziert am: 04.10.2019

Enorme Herausforderungen

SOZIALSTAAT – Der Sozialstaat Schweiz gleicht seit Jahrzehnten einer Grossbaustelle. Dies wird sich kaum so rasch ändern. Besonders dringend sind Reformen bei der Altersvorsorge und im Gesundheitswesen.

Die Sozialpolitik bleibt eine Grossbaustelle. Das Risiko ist im Moment sehr hoch, dass die Kosten vollends aus dem Ruder laufen. Aus Sicht der Wirtschaft ist es enorm wichtig, dass am 20. Oktober genügend fähige und weitsichtige KMU-Vertreter an die Schalthebel der nationalen Politik gewählt werden, damit man sich auch im Sozialversicherungsbereich endlich wieder auf das beschränkt, was wirklich unverzichtbar und auch nachhaltig finanzierbar ist.

AHV drohen Milliardenverluste

Wir Menschen werden immer älter. Schön für uns alle! Doch die Sozialwerke werden durch die demografische Entwicklung vor enorme Herausforderungen gestellt. Am direktesten davon betroffen ist die Altersvorsorge.

Die AHV, unser wichtigstes Sozialwerk, wird durch die Demografie doppelt herausgefordert: Einerseits werden die Rentner immer älter, andererseits kommen die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation ins Rentenalter. Das hat zur Folge, dass immer mehr Rentner während einer immer längeren Zeit eine Rente beanspruchen. Kein Wunder, dass die AHV-Finanzen in eine akute Schieflage geraten sind. Die zwei Milliarden Franken an ­Zusatzeinnahmen, mit denen die AHV dank der STAF-Vorlage ab 2020 rechnen darf, sind da nicht viel mehr als der viel zitierte Tropfen auf den heissen Stein. Ohne zusätzliche Reformen wird die AHV bis im Jahr 2030 jährliche Defizite von über fünf Milliarden Franken einfahren, die rasant weiter ansteigen werden.

Generationenvertrag nicht überstapazieren

«Der Generationenvertrag darf nicht überstrapaziert werden», sagt die Zürcher FDP-Nationalrätin und Unternehmerin Doris Fiala. «Eine moderate, stufenweise Erhöhung des Rentenalters hilft massgeblich mit, unsere Kinder und Grosskinder zu entlasten.»

Zur Sanierung der AHV will der Bundesrat das Frauenrentenalter auf 65 Jahre erhöhen. Gut so. Unverständlich ist, dass er gut die Hälfte der erzielten Einsparungen für Ausgleichsmassnahmen ausgeben will. Das ist klar abzulehnen. Die düsteren Finanzperspektiven der AHV lassen keine derartigen «Zückerli» zu.

Der beruflichen Vorsorge macht nicht nur die Demografie zu schaffen, sondern auch die unerfreulichen Renditeperspektiven an den Finanzmärkten. Das Kapital droht als dritter Beitragszahler gänzlich auszufallen. Der BVG-Mindestumwandlungssatz muss daher dringend gesenkt werden. Da dies automatisch zu sinkenden Renten führt, braucht es Kompensationsmassnahmen. Der sgv hat einen Vorschlag eingereicht, mit dem die Einbussen weitestgehend aufgefangen werden können. Und das mit verkraftbaren Mehrkosten.

Dreisäulenprinzip bewahren

Entschieden abzulehnen sind die von den Gewerkschaften mit Unterstützung des Arbeitgeberverbands eingeforderten BVG-Zusatzrenten. Das bewährte Dreisäulenprinzip würde mit der Einführung von Zusatzrenten krass verletzt. Das Gewerkschaftsmodell hätte einen Leistungsausbau zur Folge, was angesichts der Finanzierungsprobleme unseres Sozialstaats schlicht nicht zu verantworten ist. Es würde rund doppelt so hohe Mehrkosten verursachen wie das sgv-Modell. Und es würde die Betriebe und Beschäftigten im Niedriglohnbereich speziell hart treffen. Ein substanzieller Arbeitsplatzabbau wäre kaum zu vermeiden.

Sanierungsfall IV

Während sieben Jahren wurden wir gezwungen, zusätzliche 0,4 Mehrwertsteuerprozente abzuliefern, um damit die Invalidenversicherung (IV) zu sanieren. Bundesrat Alain Berset hat wiederholt betont, dass die IV nach Ablauf der Zusatzfinanzierung wieder schwarze Zahlen schreibt und die Schulden substanziell verringert sind. Leider konnte unser Sozialminister nicht Wort halten. Die IV schrieb im vergangenen Jahr wieder Verluste in dreistelliger Millionenhöhe, die Schulden belaufen sich immer noch auf gut zehn Milliarden Franken. Die Politik ist gefordert. Zusätzliche Sparmassnahmen sind unumgänglich.

Urlaube, Urlaube, Urlaube...

Hauptziel der Familienpolitik scheint es im Moment zu sein, die Erwerbstätigen möglichst oft von der Arbeit fernzuhalten. Bereits im kommenden Jahr wird der Souverän über die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs entscheiden. Zur Auswahl steht eine Volksinitiative mit einem vierwöchigen und ein Gegenvorschlag mit einem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub. «Vaterschaftsurlaube sind auf Ebene Betrieb oder GAV auszuhandeln», findet der ­Ausserrhoder SVP-Nationalrat und Unternehmer David Zuberbühler. «Der Staat soll aufhören, sich in Dinge einzumischen, die die Sozialpartner besser regeln können.»

Das Parlament berät zur Zeit über einen rechtlichen Anspruch auf wiederholte Kurzurlaube zur Betreuung erkrankter und verunfallter Kinder und Familienangehöriger und über vierzehnwöchige Betreuungsurlaube für schwer erkrankte oder verunfallte Kinder. Weiter sollen Adoptionsurlaube eingeführt einführt werden. Immer lauter wird der Ruf nach Elternurlauben.

All diese Anliegen kosten Geld, sehr viel Geld sogar. Und sie würden den KMU riesige organisatorische Probleme bereiten. Gefragt sind deshalb mutige KMU-Politikerinnen und -Politiker, die diesem Treiben endlich Einhalt gebieten.

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