Publiziert am: 16.06.2017

«Es besteht politischer Handlungsbedarf»

INTERVIEW – Der Berner Alt-Nationalrat Rudolf Joder hält die Forderungen nach mehr Leistung bei der Post für berechtigt. Er sieht dabei auch die Politik in der Pflicht. Die Post erfasse den Verfassungsauftrag der Grundversorgung nur noch mangelhaft.

Schweizerische Gewerbezeitung:

Wie zufrieden sind Sie mit dem Angebot der Schweizerischen Post ganz allgemein?

n Rudolf Joder: Ich bin nicht zufrieden mit dem Angebot der Post. Ständig werden Poststellen geschlossen, die Zahl der Briefkasten reduziert und die Zustellzeiten gegen Mittag oder auf den Nachmittag verschoben. Die Post erfüllt ihren Verfassungsauftrag der Grundversorgung nur noch mangelhaft. Es besteht politischer Handlungsbedarf. National- und Ständerat müssen korrigierend eingreifen.

Die Post schreibt die zunehmenden Kundenreklamationen dem Fortschreiten der Digitalisierung zu. Ist das wirklich der einzige Grund?

n Nein. Die Geschäftsleitung der Post hat eine falsche Vorstellung von ihrer Aufgabe. Diese besteht darin, der Bevölkerung, dem Gewerbe und der Wirtschaft eine zuverlässige Grundversorgung mit einfachen, pünktlichen, preisgünstigen und raschen postalischen Dienstleistungen zur Verfügung zu stehen. Diese Zielsetzung wird heute nicht erreicht.

«Die Geschäfts­leitung der Post hat eine falsche Vor­stellung von ihrer 
Aufgabe.»

Der Nationalrat forderte jüngst mehr Leistungen von den Post-Agenturen. Wie beurteilen Sie diese Forderungen?

n Diese Forderungen sind sehr berechtigt. Die zahlreichen Umwandlungen von Poststellen in Agenturen machen nur Sinn und können politisch nur akzeptiert werden, wenn die Agenturen die gleichen Dienstleistungen anbieten wie die Post­stellen.

Gemäss Weltpost-Studie hat die Schweiz aber die beste Post der Welt. Warum genügt das nicht?

n Zu den Kriterien für den internationalen Vergleich ist ein grosses Fragezeichen zu machen. Zudem sind solche Vergleiche für den schweizerischen Postkunden irrelevant. Dieser hat als Bürger, Gebühren- und Steuerzahler den Anspruch und das Recht, von der Post als hundertprozentigem Staatsbetrieb mit einem qualitativ hochstehenden Service public bedient zu werden.

Was sagen Sie dazu, dass die Post das Defizit der Poststellen mit dem Verkauf von anderen Artikeln auszugleichen versucht?

n Den Verkauf von postfremden Artikeln durch die Post lehne ich ab. In diesem Sinne hatte ich im Nationalrat eine entsprechende parlamentarische Initiative eingereicht. Es kann nicht sein, dass die Post als Staatsbetrieb zu einem eidgenössischen Warenhaus wird und dabei verschiedene Branchen des Gewerbes konkurrenziert. Gemäss Bundesverfassung ist es nicht Hauptaufgabe der Post, einen möglichst hohen Reingewinn zu erzielen, sondern der Öffentlichkeit in allen Regionen eine ausreichende und preiswerte Grundversorgung anzubieten.

«Es kann nicht sein, dass die Post zu einem eidgenössischen Warenhaus wird.»

Was hat der Kunde davon, wenn Teile des Post-Marktes weiter liberalisiert werden?

n Nichts. Dies zeigt die zunehmende Kritik an der Post. Wichtig ist, dass National- und Ständerat ihre Oberaufsicht über die Strategie und Geschäftstätigkeit der Post intensivieren und dieser für die künftige Ausgestaltung im Sinne der Verfassung klare Vorgaben machen.

Interview: Adrian Uhlmann

Ein Beitrag zum Thema Regulierung und Kundenärgernisse bei der Post ist auch in der letzten Sendung «FOKUS KMU – Die Sendung für Wirtschaft & Gesellschaft» (vgl. Nebenartikel) erschienen. Die Sendung ist abrufbar unter www.fokus-kmu.tv.

ZUR PERSON

Rudolf Joder, Rechtsanwalt, 
Nationalrat von 1999–2015, 
Präsident der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates, Mitglied der Finanzkommission, der Rechtskommission und der staatspolitischen Kommission des Nationalrates.

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