Publiziert am: 22.08.2014

«Es braucht Geduld, Ausdauer und Mut»

HOLZBILDHAUERIN EFZ – Handwerkliches Geschick, gestalterische Fähigkeiten sowie viel Geduld und Fingerspitzengefühl sind ­Voraussetzungen für diesen holzhandwerklichen Beruf, der mittlerweile von sehr vielen Frauen ausgeübt wird.

Die zierliche junge Frau steht vor der Werkbank, in der ein Holzstück mit dem groben Umriss eines Esels eingespannt ist. Mit dem Schlegel, einem zylindrischen Holzhammer, schlägt sie auf das Heft des Schnitzeisens. Mit jedem Arbeitsschritt werden die Konturen klarer und die verwendeten Bildhauereisen feiner. Kraftvoll und dennoch mit Gefühl stösst sie mit dem Handballen gegen das Schnitzeisen und schneidet Span um Span weg, bis die gewünschte Form und Wirkung erreicht ist. «Ich lerne hier viel über die Anatomie der Tiere, den Aufbau des Holzes sowie die Kunst. Diese ­Arbeit braucht Geduld, Ausdauer und Mut, um einen zügigen Schnitt auszuführen», erklärt Priska Bieri. Dafür, dass sie im ersten Lehrjahr erst am Anfang ihrer vierjährigen Ausbildung steht, hat sie schon viel Routine und führt Hohleisen, Schnitzmesser, Holzraspeln, Feilen und Ziehklingen mit sicherer Hand. Zügige wie auch schöne glatte Schnitte, aber auch der dreidimensionale Blick und eine geschulte Vorstellungskraft seien die grössten Herausforderungen beim Schnitzen, so die 16-Jährige.

Lebendiges Material

«Ich kann mein Modell noch nicht immer so umsetzen, wie ich das gerne tun würde. Aber auch hier gilt: Übung macht den Meister.» Wenn sie die fertigen Kunstobjekte ihrer Kolleginnen und Kollegen sehe, bleibe ihr immer noch oft der Mund offen vor Bewunderung. «Ich will das unbedingt auch so perfekt hinkriegen», hat sich die junge Berner Oberländerin zum Ziel gesetzt. Sie wollte immer schon einen Beruf ergreifen, der handwerkliche wie auch künstlerische Elemente beinhalte. Sie stamme aus einer «hölzigen» Familie, ihr Vater ist Zimmermann und ihr Bruder macht eine Schreinerlehre. «Da war es naheliegend, dass ich mich beruflich auch mit diesem wunderbaren lebendigen Material beschäftige», meint Priska Bieri mit einem Augenzwinkern.

«Jedes Stück Holz hat eine Geschichte, die man lesen kann.»

«Dieses Handwerk ist sehr vielseitig und ich kann meine Leidenschaft für das Werkmaterial Holz sowie meine Kreativität voll ausleben und mich verwirklichen.» Vier bis fünf Stunden pro Tag sei sie am Schnitzen. Aber auch Zeichnen, Entwerfen, Modellieren, Lackieren und Beizen der Oberflächen sowie das Arbeiten mit der Motorsäge, um sogenannte Stammfiguren direkt aus dem Holz zu sägen, gehörten zu ihrer Tätigkeit im Bildhaueratelier des über 100-jährigen Traditionsunternehmens der Familie Huggler in Brienz. Für Priska Bieri ist es immer wieder faszinierend wie aus einem Stück Holz ein Objekt entsteht. «Jedes Stück Holz hat eine Geschichte, die man lesen kann.» Von der ersten Skizze bis zum Endprodukt sei es oft ein langer und steiniger Weg.

«Die Idee auf dem Papier ist nicht immer so realisierbar wie der Kunde das gerne hätte. Oft müssen wir zuerst sorgfältig prüfen, wie die Idee umgesetzt werden kann. Dazu wird das Objekt modelliert und grob ausgerüstet, natürlich unter Berücksichtigung der optimalsten Position», ­erklärt die junge Frau. «Manchmal müssen wir halt auch etwas ausprobieren und experimentieren bis wir eine machbare Lösung gefunden haben. Aber das ist ein spannender Prozess nach dem Motto: Der Weg ist das Ziel.» Meistens werde mit dem weichen, gut bearbeitbaren Linden- oder Eichenholz gearbeitet. «Ich lerne hier viel über die einzelnen Schnitztechniken, jeder Holzbildhauer hat seine eigene Handschrift.»

Schnitzen für die ganze Welt

Die Aufträge seien genauso breitgefächert wie die Arbeit selbst. «Wir schnitzen Figuren für Privatkunden und Touristen aus der ganzen Welt von China bis Amerika. Aber auch die öffentliche Hand bestellt bei uns Figuren», so Priska Bieri. Das Schnitzen von Möbeln, Reliefs, Schriften und Hausdekorierungen sei immer wieder gefragt und zeige, wie geschätzt dieses Kunsthandwerk heute noch sei. «Unser Beruf wird immer mehr im künstlerischen Bereich angeordnet. In den Köpfen der jungen Leute ist es leider nicht so präsent, dass hier eine Lehre existiert», stellt die angehende Holzbildhauerin fest und ergänzt: «Die Jungen sollte mehr für dieses schöne Kunsthandwerk sensibilisiert werden, aber dafür müsste man den Beruf des Holzbildhauers im BIZ auch unter der Rubrik Handwerk finden.» Viele Holzbildhauereien arbeiteten in Einmannbetrieben und es gebe nicht so viele Stellen. Doch darüber zerbricht sich Priska Bieri nicht den Kopf, denn sie hat klare Zukunftspläne: «Ich möchte danach noch eine zweite Lehre als Schreinerin absolvieren, dann bin ich optimal ausgebildet und kann beide Berufe kombinieren.»

Corinne Remund

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