Publiziert am: 03.07.2020

Genug (Lehr)stellen vorhanden

LEHRSTELLENMARKT– Die aktuelle Situation wirkt sich auch auf die Ausbildung des beruflichen Nachwuchses aus. Es gibt aber Branchen, die trotz Corona und dank bewährter Rekrutierungsmodelle über genügend Lehrstellen verfügen. Ebenso nehmen zahlreiche KMU ihre Verantwortung in Krisenzeiten wahr und ermöglichen jungen Berufsleuten einen erfolgreichen Berufseinstieg.

Die Corona-Krise hat in den vergangenen Monaten den geschäftlichen und gesellschaftlichen Alltag massiv beeinträchtigt. Während die Bevölkerung seit Mitte Mai immer mehr aus dem Corona-Tiefschlaf erwacht und zur «neuen Normalität» zurückfindet, wird die Wirtschaft die Corona-Folgen noch lange spüren. Auch die Berufsbildung wurde massiv von der Corona-Krise durchgeschüttelt. So kämpfen nicht wenige KMU darum, die bestehende Belegschaft durch die Krise zu führen. Falls neue Mitarbeitende gesucht werden, so werden meist Personen mit Berufserfahrung bevorzugt. Lehrabgänger habe es somit schwer, eine Stelle zu finden.

Bund, Kantone und Organisationen der Arbeitswelt OdA setzen sich dafür ein, dass sich die Covid-19- Pandemie so wenig wie möglich ­negativ auf die Berufsbildung auswirkt. Auch der Schweizerische Gewerbeverband sgv engagiert sich an vorderster Front für die Stabilisierung des Lehrstellenmarktes – mit Erfolg. So hat er mit den Verbundpartnern zusammen erreicht, dass fast überall die Lehrabschlussprüfungen trotz Corona national pro Beruf durchgeführt werden konnten. Auch in der Arbeitsgruppe «Perspektive Lehrstelle 2020» setzt sich der grösste Dachverband der Schweizer Wirtschaft für die KMU und die Jugendlichen ein.

Gesamtschweizerisch sind per Ende Mai 2020 knapp 48 000 Lehrverträge unterzeichnet worden. Im Vergleich zum Mai 2019 entspricht dies einer Reduktion von vier Prozent. Ein grosser Teil der Lehrstellen ist also bereits vergeben. In der lateinischen Schweiz ist allerdings die Anzahl abgeschlossener Lehr­verträge im Vergleich zum Vorjahr deutlich tiefer.

Erste berufliche Erfahrungen im Lehrbetrieb

Rahel Steiner und Sonja Kistler haben gerade erst ihre dreijährige Lehre als Fleischfachfrau in der Dorfmetzg N. Jud im sanktgallischen Benken abgeschlossen. Sie sind beide in der glücklichen Lage, in ihrem Lehrbetrieb weiterarbeiten zu können. «Diese zwei motivierten und zuverlässigen Mitarbeiterinnen machen einen grossartigen Job und passen bestens in unser Team», freut sich ihr Chef Nik Jud. Kistler ist erleichtert über diese Festanstellung. «Ich arbeite gerne hier. Ich schätze unser Team und meine Arbeit und kenne unsere Stammkunden sowie deren Präferenzen mittlerweile gut.» Und sie ergänzt: «Es wäre gerade jetzt aufwendig gewesen, eine neue Stelle zu suchen.» Auch Steiner ist froh, im eingespielten Team bleiben zu dürfen, «obwohl es in unserer Branche genug freie Stellen gibt». Jud führt seit 17 Jahren zusammen mit seiner Frau die Dorfmetzg. Dabei gehört es zur Firmentradition, Ausbildungsplätze anzubieten – momentan sind es fünf Lernende im 1. bis 3. Lehrjahr: «Wir haben in unserer Branche schon lange einen Fachkräftemangel, deshalb ist es fast überlebenswichtig, gute Fachleute auszubilden und nachzuziehen.»

Der Metzger engagiert sich mit viel Herzblut unter anderem als Prüfungsexperte in der Berufsbildung und hat auch das Lehrlingsprojekt «Azubi Metzg» initiiert. Dabei überlässt er jeweils am Montagnachmittag sein Geschäft seinen Lernenden, damit sie ihr Erlerntes im Alltag einbringen können und Neues lernen. «So lernen die Azubis, Verantwortung zu übernehmen und spüren, wie es ist, wenn kein Chef im Haus ist.» Obwohl sein Partyservice aufgrund von Corona bis zu 60 Prozent Umsatzeinbusse erlitten hat, stehen bereits zwei neue Lernende in den Startlöchern. «Diese Lehrverhältnisse haben wir schon vor der Pandemie ausgehandelt», so Jud.

Bewährte Lehrlingsrekrutierung

Der Schweizer Fleisch-Fachverband SFF ist bezüglich Nachwuchsförderung besonders engagiert und vorbildlich: Schon seit längerer Zeit setzt er einen sogenannten Nachwuchsrekrutierer ein. Markus Roten, Metzgermeister und ehemaliger Berufsfachschullehrer, kann in dieser Position aus dem Vollen schöpfen und erfolgreich die Bevölkerung für dieses Berufsbild sensibilisieren. «Als Ansprechpartner in Rekrutierungsfragen entspricht er einem grossen Bedürfnis unserer Mitglieder und unterstützt und berät die Betriebe vor Ort», erklärt Philipp Sax, stellvertretender SFF-Direktor und Leiter Bildung. Zwischenzeitlich erfüllt Roten auch Aufgaben im Bereich der betrieblichen Beratung bei der Umsetzung des neuen Berufsbildes und bei der Aktivierung bzw. Reaktivierung neuer Lehrbetriebe. «Auch konnten wir den Mangel an Lernenden, zwar auf tiefem Niveau, aber trotzdem plafonieren, was ­sicher zum Teil auch der grosse Verdienst von Markus Roten war und nach wie vor ist», so Sax.

Trotz Corona zusätzliche Lehrstellen

Eine grosse Corona-bedingte Herausforderung für die Branche sind im Zusammenhang mit der Lehrlingsrekrutierung die Schnupperlehren. Dazu Sax: «Das heutige Bild der Fleischfachleute ist ein anderes als gemeinhin angenommen. Die äusserst vielseitige Ausbildung zum/r Fleischfachmann/-frau bietet weitreichende Karriere- und Weiter­bildungsmöglichkeiten. Das in der Gesellschaft leider nach wie vor weit verbreitete falsche Image des «Schlächters mit der blutigen Schürze» kann nur durch die Überwindung der Schwellenangst korrigiert werden, und dies kann fast nur durch die Schnupperlehrer erreicht werden.» Mit den Lockerungsmassnahmen sind solche Schnupperlehren nun wieder einfacher möglich. «Wir hoffen durch den Einsatz unseres Nachwuchsrekrutierers dieses Jahr sogar zusätzliche Lehrstellen zu schaffen», sagt Sax. Kein Problem jedoch stellt in der Fleischbranche mit starkem Fachkräftemangel eine Anschlusslösung nach der Lehre dar. Daran ändert auch die Covid-19-­Krise nicht. «Unsere Branche ist auch in Krisenzeiten ein sicherer und zuverlässiger Arbeitgeber.»

Corinne Remund

www.sff.ch

www.berufsbildung2030.ch

Lehrstellensituation

50 Prozent zuwenig Lernende

Die Lehrstellensituation in der Fleischbranche ist von zentraler Bedeutung. Sie bietet gesamthaft über 24 000 Personen sichere Arbeitsplätze. Mit jährlich rund ­250 neuen Berufsfachleuten und rund 20 Personen, welche eine höhere Berufsbildung absolvieren, steht die Branche vor einer riesigen Herausforderung – da nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ die dringend benötigten Fachkräfte bereits fehlen. Das Engagement des SFF ist daher von elementarer Bedeutung. Dieses Jahr haben rund 180 EFZ-Lernende und ca. 30 EBA-Lernende ihre Ausbildung abgeschlossen. «Für benötigen pro Jahr 400 bis 500 erfolgreiche Lehrabschlüsse.» Momentan können wir leider nur etwas mehr als die Hälfte davon besetzen», so Philipp Sax, stellvertretender SFF-Direktor. CR

Meist Gelesen