Publiziert am: 03.06.2022

«Gericht ohne Richter»

JEAN-PIERRE BRINGHEN – 2011 ist der CEO der Walliser Bringhen Group in die Fänge der Wettbewerbskommission geraten. Die WEKO wende das Prinzip der Umkehr der Beweislast an und fühle sich omnipotent, sagt der Unter­nehmer: «Die Hüter müssen bewacht werden.»

Schweizerische Gewerbezeitung: Wie schätzen Sie als Unternehmer die Bedeutung des 1995 in Kraft getretenen Kartellrechts für die Schweizer Wirtschaft ein?

Jean-Pierre Bringhen: Ein Kartellgesetz sollte den Wettbewerb schützen. Dies steht ausser Zweifel. Die Schweiz ist bekannt als ein Land, das Musterschüler sein will und dabei oft die Staatsinteressen in den Hintergrund stellt. Dies widerspiegelt sich u. a. in der Auslegung und Anwendung unserer Gesetze, in der Übernahme fremden Rechts, dies oft zum eigenen Schaden. Die WEKO hat sich von der Realität entfremdet und als Wettbewerbshüter viel von ihrer Glaubwürdigkeit verloren.

Sie selbst haben mit den Grals-hütern des Kartellrechts, der Wettbewerbskommission (WEKO), auch schon direkte Erfahrungen gemacht. Was wirft man Ihnen konkret vor?

Auf über 700 Seiten wird u. a. unserem Berufsverband und seinen Mitgliedern vorgehalten, dass sie seit 1997 mit Abreden den Wettbewerb im Sanitärgrosshandel beeinträchtigt hätten. Pikant dabei ist, dass die WEKO im Jahre 2006 unserem Verband, auf seine Anfrage hin, attestiert hat, dass ihm nichts angelastet werden könne. 2011 kam die unangekündigte Kehrtwende, der wir zum Opfer gefallen sind. Diese birgt für alle Berufsverbände eine grosse Gefahr, denn Kalkulationshilfen, Richtzahlen, Tarife, Datenbanken usw. werden neu von der WEKO als Kartellabsprachen eingestuft. Sollten wir vor den Gerichten verlieren, würde eine Bresche geöffnet, die dem gesamten Gewerbe immens schaden würde. Mich betreffend, hallt immer noch der Satz eines Mitarbeiters der WEKO nach: «Mitgegangen, mitgefangen.»

Am 22. November 2011 um 8.30 Uhr bekamen Sie Besuch von Ver-tretern der WEKO. Wie haben Sie den Tag, als die Beamten bei Ihnen in Visp aufgetaucht sind, in Erinnerung?

Etwa acht Personen, von zwei Polizisten eskortiert, überfielen mich förmlich, durchsuchten jeden Winkel in der Firma, beschlagnahmten alles Mögliche und hielten mich bis in die späteren Abendstunden fest. Ich wurde wie ein Krimineller behandelt und immer wieder aufgefordert, ein vorbereitetes Geständnis zu unterzeichnen. Eine Strafreduktion von 80 Prozent winkte. Ich stand wie ein vorverurteilter Verbrecher vor einem Tribunal.

Die Beamten haben während ihrer Vernehmung und später im Verlauf des Verfahrens nach belastendem Material gesucht. Hatten sie auch entlastende Indizien im Fokus?

Die WEKO wendet das Prinzip der Umkehr der Beweislast an. Sie behauptet etwas und der Beschuldigte muss beweisen, dass die Behauptung nicht stimmt. Wie kann man das Nicht-Vorhandensein von etwas beweisen? Im Weiteren versucht die WEKO dort, wo sie wie in unserem Fall nicht zum Ziel kommt, aus vielen Vermutungen eine Schuld zu konstruieren. Der Zweck heiligt die Mittel! Ich liess, der Objektivität verpflichtet, zwei Gutachten erstellen. Eines von Uni-Prof. Reiner Eichenberger, einem renommierten Kartellgegner. Er schreibt: «Folglich sind aus meiner Sicht die durch das Sekretariat der Wettbewerbskommission behaupteten Kartellrechtsverstösse in keiner Weise belegt.» Zum selben Schluss kommt ETH Prof. em. Bernhard Plattner: «Mit einem vernünftigen Aufwand, nämlich einem Teil des zeitlichen Aufwandes, den ich als Gutachter für meine Untersuchungen aufwendete, hätten die Fachleute der WEKO feststellen können, dass sich Bringhen über alle untersuchten Jahre unabhängig verhalten hat.»

Beide Gutachten wurden von der WEKO abgetan. Ebenso wird in unserem Fall über 30-mal das EU-Recht beigezogen. Grundsätze unseres Rechtsstaates werden einfach über Bord geworfen. Ich hoffe, dass unser Parlament diesem Treiben Remedur schaffen wird und das KG entsprechend revidiert.

Als strafmindernd wurde einzig hervorgehoben, dass ich mich «tadellos» an den Untersuchungen beteiligt habe. Hingegen wurden meine Gegenbeweise ignoriert.

Das Verfahren gegen Ihre Firma läuft inzwischen seit elf Jahren. Was bedeutet diese jahrzehnte-lange Ungewissheit für Sie und Ihre Unternehmung?

Wenn die Beweisführung versagt, wird die Strategie geändert und der Fall in die Läge gezogen. So geschehen! Wir warten immer noch auf einen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts, der sicherlich von der unterlegenen Partei ans Bundesgericht weitergezogen wird.

Seit elf Jahren lebe ich täglich mit dieser unerträglichen Belastung und kein Ende ist in Sicht. Wie kann man seine Nachfolge im Unternehmen planen, wenn eine existenzbedrohende Busse droht?

Wie hat die Untersuchung Ihr Leben verändert? Welche Folgen, beruflich und persönlich, hatte und hat sie noch für Sie?

Ich konnte nicht in wichtige Verwaltungsräte gewählt werden, weil stigmatisiert. Ich wurde zwei Tage vor der Teilnahme an einer «Arena»-Sendung als Eingeladener ausgeladen, weil das Schweizer Fernsehen negative Kommentare über mich fürchtete. Der Imageschaden für meine Person ist unermesslich. Die Kunden, die den Markt kennen und allesamt das Verfahren verurteilen, blieben treu. Für mich persönlich ist es die grösste Ungerechtigkeit, die ich in meinem Berufsleben erlebt habe. Sie hat mich meine Karriere ausserhalb unseres Familienunternehmens gekostet. Es gibt keine Stunde am Tag, an der ich nicht an dieses Verfahren denke.

Welche Risiken geht eigentlich die WEKO ein, wenn ihr der Nachweis einer Kartellverstosses nicht gelingt und ein Verfahren Schiffbruch erleidet?

Sie geht gar kein Risiko ein! Es wird höchstens, wenn sie verliert, vom Bund ein Teil der Verfahrenskosten übernommen.

Die WEKO hat gegen Ihre Unternehmung eine massive Busse von mehreren Millionen Franken verfügt. Dagegen wehren Sie sich seit Jahren vor den Gerichten. Welche Chancen hat ein KMU, wenn es in die Fänge der WEKO gerät?

Die Busse ist exorbitant, obwohl die WEKO in ihrem Entscheid festhält, dass «weder ein besonders hoher Gewinn bewiesen werden kann, noch die Zusammenarbeit der Parteien mit den Behörden beanstandet wird». Die WEKO fühlt sich omnipotent. Dies belege ich damit, dass die WEKO aus einem Satz einer meiner Aussagen drei Wörter strich, dadurch den Sinn dieser veränderte und mich so der Unwahrheit bezichtigt. Ich bat den Präsidenten der WEKO, diesen ehrverletzenden Satz bzw. den betroffenen Absatz zu korrigieren oder zu streichen. Er verweigerte dies. Ich forderte das Bundesverwaltungsgericht auf, dies zu tun. Auch hier kam ich nicht durch. So gelangte ich ans Bundesgericht – und verlor auch dort. Der Abschnitt wurde publiziert! Mir blieb nichts anderes übrig, als Strafanzeige gegen die WEKO zu erstatten. Ich verlor auch vor dem Bundesstraf-gericht. Dieses hält in seinem Urteil fest: «In jenen Verfahren wird die Rechtmässigkeit der Verfügung der WEKO von unabhängigen Gerichten beurteilt. Dort können die Anzeigeerstatter einbringen, die Würdigungen der WEKO seien fehlgeleitet. Im vorliegenden Zusammenhang kein zulässiges Ziel sind jedoch die für den Bund handelnden Funktionäre.» So hätte einzig der Präsident der WEKO handeln können. Dieser schützte seine Funktionäre. Diese sind offensichtlich unantastbar und werden nachweislich auch von allen Gerichtsinstanzen geschützt. Um Ihre Frage zu beantworten: Gegenwärtig chancenlos, solange die Gerichte und das Parlament der WEKO nicht klare Schranken setzen.

Die WEKO – genauer: ihr Sekretariat – verstünde sich zunehmend wie ein Kläger oder wie eine Staatsanwaltschaft, wird von manchen Unternehmen kritisiert. Teilen Sie diese Meinung?

Dem ist so. Bei der Anhörung stand ich vor einem Gericht ohne Richter.

Vielen gilt die WEKO als «Staat im Staate», der von niemandem kontrolliert werde. Wer kontrolliert denn eigentlich die WEKO selbst?

Sie kontrolliert sich selber. Als Unternehmer und Bürger ist man wehrlos ausgeliefert, und das Verfahren ist extrem teuer.

Wie müsste die WEKO aufgestellt sein, damit sie den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden kann?

Die Hüter müssen bewacht werden! Dogmatiker und Theoretiker bürgen nicht für Objektivität und Gerechtigkeit. Es braucht Praxiserfahrung, und vor allem einen gesunden Menschenverstand, die strikte Einhaltung der Schweizer Gesetze, eine Gewaltentrennung, externe Kontrolle, Transparenz aller internen Prozesse, befristete Verfahrensabschnitte, differenzierte und tragbare Sanktionen, Verjährungsfristen, Risikosymmetrie, keine Beeinflussung der Gerichte. Statt Repression, Prävention!

Interview: Gerhard Enggist

MOTION WICKI KOMMT IN DEN NATIONALRAT

Umkehr der Beweislast muss endlich aufhören

Der Nationalrat behandelt in der Sommersession die Motion «Untersuchungsgrundsatz wahren. Keine Beweislastumkehr im Kartellgesetz» (21.4189) von FDP-Ständerat Hans Wicki.

Die Motion fordert, dass die in der Verfassung verankerte Unschuldsvermutung als Untersuchungsgrundsatz auch im Kartellgesetz in allen Fällen Anwendung findet. In gerichtlichen Verfahren sind die Rollen klar verteilt: Die Polizei führt die Ermittlungen durch, sie sammelt sowohl entlastende als auch belastende Fakten und Indizien. Wenn jedoch bereits in der Ermittlungsphase der Fokus einseitig auf dem belastenden Material liegt und wenn im Verfahren die entlastenden Materialien unberücksichtigt bleiben, wird die Unschuldsvermutung verletzt. Der Angeklagte kann nicht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren hoffen. Dies will die Motion Wicki ändern.

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