Publiziert am: 07.02.2020

Mandat des Himmels

CHINA UND DAS CORONAVIRUS – Die Massnahmen Chinas, mit dem Coronavirus umzugehen, sind politisch motiviert. Das aus gutem Grund: Die Kommunistische Partei KP möchte zeigen, sie stehe immer noch unter dem Auftrag von ganz oben.

Es hört sich nach einer Metapher an, ist aber eine immer wieder vorkommende Denkweise in China. Die Machthaber haben ein Mandat des Himmels. Sie haben zwar Macht – alle Macht –, doch sie müssen auch dafür besorgt sein, die Macht im Interesse aller einzusetzen. Jeder muss etwas von der Macht abbekommen.

Für das heutige China heisst das konkret: Die Kommunistische Partei hat absolute Macht und macht ­das Land dadurch reich. Doch mit dieser Macht muss sie alle, wenn auch nicht gleich-, so doch besserstellen.

Katastrophen als Zeichen für den Machtverlust

Wie erfahren die Machthaber, dass sie das Mandat des Himmels verloren haben? Meist nimmt man Naturkatastrophen als Zeichen ­dafür. Der Eintritt einer Naturkatastrophe, bei der Menschenleben ausgelöscht werden, bedeutet in dieser Denkweise: Der Himmel kommuniziert den Mandatsentzug. Und was sind die Folgen? Die Machthaber sind frei zum Abschuss. Historisch entstanden in solchen Konstellationen Bürgerkrieg und Revolution.

Die KP steht in der Pflicht

Freilich gibt es keine KP-Doktrin zum Mandat des Himmels. Freilich bestreitet der Kommunismus die Existenz dieses «transzendenten Unsinns». Doch die Kommunistische Partei, die KP, kennt das Land und weiss um die Gemütslage der Menschen. Sie reagiert in diesen Tagen stark, um ein politisches Zeichen zu setzen, das da lautet: Wir haben die Krise im Griff. Beim Coronavirus handelt es sich nicht um eine Naturkatastrophe.

Die Industrie- und Universitätsstadt Wuhan in Zentralchina hat elf Millionen Einwohner und erwirtschaftete im Jahr 2018 rund 224 Milliarden Dollar – etwa so viel wie Griechenland. Chinas Zentralregierung hat es geschafft, diese Metropole und ihre Menschen innerhalb zweier Tage von der Aussenwelt abzuriegeln! Was in anderen, zumal in demokratisch regierten Staaten schlicht undenkbar wäre, ist auch für das autoritäre China eine extreme Massnahme.

Die Zeichen der Zeit

In der Lesart der KP Chinas ist die extreme Massnahme auch gerechtfertigt. Denn das Virus trifft China in einem kritischen Moment. 40 Jahre lang ist die Wirtschaft des Landes unaufhörlich gewachsen, im Schnitt um fast zehn Prozent pro Jahr. Gleichzeitig scheint die Umverteilungsmaschine – jene die sicherstellt, dass auch die Ärmsten etwas vom grossen Erfolg des Landes abbekommen – zu stottern. Insider und die Partei meinen, die Unzufriedenheit der Menschen wachse.

Eine andere Parallele tut sich auf: Als 2002 die SARS-Epidemie ausbrach, betrug Chinas Wirtschaftskraft preisbereinigt gerade einmal ein Fünftel der heutigen. 84 Millionen Flugpassagiere wurden damals verzeichnet – heute sind es mehr als 600 Millionen. Das sind viel mehr Vektoren für die Übertragung des Coronavirus. Zählt man nun die stotternde Umverteilung und die Risikomultiplikation aus der Reiserei zusammen, wird das Ergebnis klar: Die KP sieht grosse Risiken. Diese will sie ganz eindämmen. Das soll nicht bedeuten, die chinesische Führung sehe den Coronavirus als wirklich gefährlich an. Sie sieht eher die derzeitigen Rahmenbedingungen als ein Problem für ihre Stellung an. Sie will ihr Mandat des Himmels nicht verlieren. Denn es ist klar: Auch das Coronavirus ist vor allem eines – nämlich Politik.

Henrique Schneider, stv. Direktor sgv

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