Publiziert am: 24.03.2017

Mehrheit bekommt – Minderheit bezahlt

TribĂĽne

Was ist der Mittelstand? Polemisch könnte ich sagen: Je nach Abstimmungsvorlage etwas anderes. Konsultiert man Wikipedia, erfährt man, dass zur Mittelschicht zählt, «wer zwischen 70 und 150 Prozent des durchschnittlich verfügbaren Äquivalenzeinkommens verdient».

Um Sie nicht mit weiteren Definitionen, zum Beispiel über das Äquivalenz­einkommen, zu langweilen, schwenke ich hier auf die landläufige Beschreibung des Begriffes Mittelstand ein: Es ist jene Bevölkerungsschicht, die ihr Leben selbstverantwortlich und ohne staatliche Unterstützung bestreitet. Zum Mittelstand wird die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung gezählt (was wiederum seine Attraktivität für politische Kampagnen erklärt).

Aber was heisst schon «ohne staatliche Unterstützung»? Nur weil jemand keine Ergänzungsleistungen, Sozialhilfe oder Prämienverbilligungen erhält, heisst das ja noch lange nicht, dass er oder sie unabhängig ist vom Staat. Im Gegenteil. Die Zahl der vom Staat Abhängigen hat in den letzten Jahrzehnten massiv zugenommen.

Das hat auch damit zu tun, dass die öffentliche Verwaltung zur grössten Jobmaschine der Schweiz geworden ist. Kein Wirtschaftszweig wächst personell auch nur annähernd so schnell. Die Verwaltung hat ihren Personalbestand in den letzten gut 20 Jahren um 60 Prozent ausgebaut. Wer naiv ist, kann sich darüber freuen. Wer Realist ist, der weiss, dass das Aufblähen des Staatsapparats nie und nimmer mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz zu erklären ist, und der weiss, dass die Verwaltung nicht das eigene Geld, sondern das Geld aller ausgibt.

Warum ist das ein Problem und was hat das mit dem Mittelstand zu tun? Die «Basler Zeitung» hat das vor kurzem mit dem Titel «Der Mittelstand hängt am Tropf des Staates» beschrieben. Der ernüchternde Befund: 1,2 der 5,3 Millionen Stimmberechtigten werden vom Staat beschäftigt, arbeiten in staatlich subventionierten Betrieben oder profitieren direkt von ihm, zum Beispiel durch Preisgarantien oder Zwangsabgaben. Rechnet man die gut 2 Millionen AHV- und IV-Bezügerinnen und Bezüger sowie die Sozialhilfeempfänger dazu, dann ist die Mehrheit der Stimmberechtigten mehr oder weniger von staatlichen Leistungen abhängig.

Auch wenn die Arten der Abhängigkeit unterschiedlich sind: Diese Entwicklung ist ein Problem. Die Wohlstandskatze beisst sich sozusagen in den eigenen Schwanz. Denn anders als ein Unternehmen verdient der Staat die Mittel, die er ausgibt, nicht selber. Er holt sie sich bei den Bürgerinnen und Bürgern, bei den Unternehmen. Wenn nun auch jene Bevölkerungsgruppe wächst und wächst, die vom sich aufblähenden Staat profitiert, dann lassen sich Kursänderungen nur noch schwer und irgendwann gar nicht mehr vornehmen. Wenn die Mehrheit profitiert und die Minderheit bezahlt, dann führt dies zu einer irreversiblen Zementierung des Systems. Das wäre dann eine neue Interpretation dessen, was man in der Demokratietheorie die «Tyrannei der Mehrheit» nennt, und es würde die Leistungsbereitschaft jener torpedieren, die dieses System finanzieren.

Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir bei den grossen politischen Entscheiden, sei das die Energiestrategie 2050 oder die Rentenreform 2020, dieses Subventions- und Abhängigkeitssystem nicht immer noch mehr und noch mehr ausbauen. Oder anders gesagt: Lassen wir die «Wohlstandskatze» nicht so fett werden, dass sie nicht mehr laufen kann.

* Marcel Schweizer, Präsident des Gewerbeverbandes 
Basel-Stadt und Inhaber eines Gartenbau-Unternehmens.

Die TribĂĽne-Autoren geben ihre eigene Meinung wieder; diese muss sich nicht mit jener des sgv decken.

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