Publiziert am: 05.03.2021

Missbrauch inmitten der Krise

DEBITKARTEN – Die neuen Debitkarten von Mastercard und Visa führen bei kleineren Detail­händlern zu höheren Gebühren. Der Gewerbeverband fordert transparente Trans­aktions­kosten. Die Wettbewerbskommission soll sich dem EU-Modell annähern.

Es ist eine ziemlich technische Angelegenheit – und deshalb umso wichtiger für viele KMU. Vor wenigen Monaten sind die neuen Debitkarten Mastercard und Visa Debit auf den Zahlungsmittelmarkt gekommen. Sie sollen die heute gängige Maestro-Karte nach und nach ersetzen. Schätzungen des Verbands Elektronischer Zahlungsverkehr VEZ zufolge wird die Maestro-Karte innerhalb von vier bis fünf Jahren aus dem Markt verschwinden.

Tatsächlich scheinen neue Debitkarten schon heute auf dem Vormarsch zu sein. UBS hat seit dem vergangenen Oktober 20 000 Visa-Debit-Karten vertrieben und plant, pro Monat 30 000 weitere unter die Leute zu bringen. Ihr Ziel ist es, alle ihre 2,5 Millionen Kundinnen und Kunden mit dieser neuen Karte auszurüsten. Daneben gibt es die neue Debit Mastercard, von der noch nicht klar ist, wie weit verbreitet sie schon ist.

Die Credit Suisse ihrerseits hat entschieden, die Maestro-Karte mit der neuen Debit Mastercard zu ersetzen. Und die Bank Raiffeisen schliesslich will bei ihrer Kundschaft die Verwendung der Visa Debit fördern. Es wird geschätzt, dass bis 2026 alle ihre 3,8 Millionen Kundinnen und Kunden über die neue Debitkarte verfügen werden.

Auch bestimmte Kantonalbanken (BLKB, SGKB) haben sich für die neue Karte entschieden. Gemäss den Schätzungen des VEZ gibt es in der Schweiz rund zehn Millionen Maestro-Karten.

Plötzlich teurere Gebühren

So weit, so unproblematisch – zumindest auf den ersten Blick. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Die Detailhändler registrieren derzeit einen deutlichen Anstieg der Transaktionsgebühren – und damit eine Schmälerung ihrer eh schon oft dünnen Margen. Diese Entwicklung erstaunt gar manche, zumal sie glauben, es nach wie vor mit «klassischen» Debitkarten zu tun zu haben. «Im Detailhandel herrscht eine grosse Unzufriedenheit», sagt der beim Schweizerischen Gewerbeverband sgv für die Bereiche Digitalisierung und Handel zuständige Ressortleiter Mikael Huber. «Insbesondere unter den KMU, die keine Verhandlungsmacht gegenüber den Anwerbern Worldline / SIX Payment Services und Concardis haben, ist die aktuelle Situation ein grosses Ärgernis.»

Die Steine des Anstosses

Die neuen Debitkarten werfen hauptsächlich zwei Probleme auf. Kurzfristig gibt es bei der Verwendung dieser neuen Debitkarten technische Probleme. Gemäss den Informationen des VEZ haben die Anwerber (Wordline / SIX Payment Services und Concardis) Schwierigkeiten damit, diese neuen Debitkarten von den Kreditkarten zu unterscheiden. Dies bedeutet, dass bei der Verwendung der neuen Debitkarten eine ebenso hohe Gebühr anfällt wie bei den Kreditkarten. Dies wiederum schadet der Akzeptanz der neuen Karten, die insbesondere von kleinen Detailhändlern refüsiert werden.

«FÜR DIE KMU IST DIE SITUATION RUND UM DIE NEUEN DEBITKARTEN EIN äRGERNIS.»

Für die grossen Detailhändler hingegen, die mit Interchange++ ausgerüstet sind, hat das Problem keine Konsequenzen. Sie verfügen über eine ausreichende Verhandlungsmacht, um eine Reduktion der Transaktionsgebühren zu verlangen. KMU ihrerseits sind Einzelakteure – und allein nicht in der Lage, derartige Preissenkungen zu verlangen. Die Situation sei gravierend, sagt sgv-Experte Mikael Huber, «zumal dieser Stellungsmissbrauch inmitten einer Krise erfolgt, in der die KMU ohnehin schon schwer unter den Massnahmen zur Covid-19-Eindämmung leiden.»

Vor Fait accompli

Die grosse Gefahr für die KMU liege darin, so Huber weiter, dass sie – falls sie den Unterschied nicht bemerkten – vor einem Fait accompli stehen und für die neuen Debitkarten auch künftig die gleichen Kommissionen wie für die Kreditkarten zahlen müssten. «Wenn das technische Problem nicht gelöst wird, werden die KMU vor vollendeten Tatsachen stehen und mehr bezahlen müssen, um die Ertragseinbussen zu kompensieren, die die Anwerber in ihrer Zusammenarbeit mit Migros, Coop und anderen Grossunternehmen eingefahren haben.»

Langfristig allerdings ist der Umstand, dass diese neuen Debitkarten mit höheren Gebühren einhergehen, weit gravierender als das technische Problem. Die Transaktionskosten der neuen Debit- und Kreditkarten beinhalten sogenannte Interbankenentgelte (Interchange fees). Bei Bezahlungen mit der Maestro-Karte fiel bis anhin keine solche Gebühr an. Bei einer Transaktion mit den neuen Debit- oder Kreditkarten dagegen wird die Interchange Fee zugunsten der kartenausstellenden Bank erhoben – und automatisch von dem an die Bank des Händlers überwiesenen Betrag abgezogen. «Es ist klar, dass die Interchange Fees eine bedeutende Einnahmequelle für die Banken darstellen», sagt der stellvertretende sgv-Direktor und Ökonom Henrique Schneider. «Das aktuelle System führt unweigerlich dazu, dass die Banken jene Karten bevorzugen, die die höchsten Interchange Fees versprechen.»

WEKO soll Höchstwert definieren

Die Wettbewerbskommission (WEKO) hat bis heute keinen solchen Gebührenhöchstwert für die Einführungsphase der neuen Debitkarten definiert. «Der sgv ist der Ansicht», so sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler, «dass die Interchange Fees transparent festgelegt werden müssen. Die freie Wahl zwischen den Karten sollte nicht zu einer Erhöhung der Interchange Fee führen, sondern vielmehr dank des Wettbewerbs eine Senkung der Kommissionen erlauben.»

Der sgv fordert die WEKO deshalb dazu auf, sich dem Modell der Europäischen Union anzunähern, das «moderate und vernünftige» Interbankenentgelte vorsieht, nämlich bei Debitkarten 0,2 Prozent und bei Kreditkarten 0,3 Prozent.

In Anbetracht der erwähnten Probleme fordert der sgv alle seine Mitgliedsverbände dazu auf, sich mit Worldline / SIX Payment Services in Verbindung zu setzen, um eine Neuaushandlung der Transaktionsgebühren und die Rückerstattung der bei den Debitkarten-Transaktionen aufgrund des technischen Problems zu viel erhobenen Interbankenentgelte zu fordern.

En

FORDERUNGEN DES SGV

Nicht auf dem RĂĽcken der KMU

Rund um die Einführung der neuen Debitkarten von Mastercard und Visa stellt der Schweizerische Gewerbeverband sgv – der KMU-Dachverband setzt sich seit jeher gegen die ungerechtfertigte Erhöhung von Gebühren und Abgaben ein – die folgenden Forderungen:

• Worldline / SIX Payment Services muss so rasch wie möglich die technischen Probleme beheben, die eine Unterscheidung der neuen Debit Mastercard und Visa Debit von den Kreditkarten verunmöglichen und dementsprechend dazu führen, dass die KMU zu hohe Gebühren bezahlen müssen.

• Worldline / SIX Payment Services, die als Anwerber (Acquirer) über eine Quasi-Monopolstellung verfügt, muss aufhören, ihre Kommissionen auf dem Rücken der KMU zu erhöhen.

• Die Wettbewerbskommission (WEKO) muss die Interbankenentgelte (zugunsten der kartenausstellenden Banken) auch für die Phase der Markteinführung neuer Karten (bis zur Erreichung eines Marktanteils von 15 Prozent oder drei Jahre) transparent festlegen.

• Die WEKO muss den Beginn dieser Einführungsphasen klar definieren und den KMU mitteilen.

• Die Interbankenentgelte sollten in Anlehnung an das Modell der Europäischen Union festgelegt werden, wo die Sätze nach der Einführungsphase bei Debitkarten 0,2 Prozent und bei Kreditkarten 0,3 Prozent betragen.

www.sgv-usam.ch

Meist Gelesen