Publiziert am: 19.03.2021

Mit dem Kater zu Berg

ES WAR EINMAL … – Rotwein und Champagner statt Tee für die Pioniere des Alpinismus, pfeifenrauchende Bergführer in Felswänden und Bergsteiger mit einem Stumpen im Gesicht in überfüllten SAC-Hütten – dies sind Bilder aus längst vergangenen Zeiten. Autor Ruedi Horber erinnert sich.

Bergsport, Tabakgenuss und Alkoholexzesse, das passt heute nicht mehr zusammen. Ein Glas Rotwein am Vorabend in der Berghütte, und am Tag danach ein Gipfeltrunk in Ehren; wesentlich mehr liegt heute, in einer Zeit, wo Rekorde gefragt sind und alles «gesund» und nachhaltig sein muss, schlichtweg nicht mehr drin. Es hat keinen Platz für Getränke und Nahrungsmittel, die nicht grün sind, sondern dunkelrot auf der Ampel aufleuchten. Sportlernahrung und isotonische Getränke sind «in», die rasch und ohne weitere Zubereitung jederzeit auf der Tour konsumiert werden können.

Alkoholexzesse im 19. Jahrhundert

Ganz anders in den goldenen Zeiten der Erstbesteigungen der wichtigsten Alpengipfel. Da waren grosse Expeditionen in den Bergen unterwegs, vielfach betuchte Engländer mit mehreren Bergführern und Trägern. Neben der sportlichen Leistung nahmen offenbar auch das leibliche Wohl und der Genuss einen hohen Stellenwert ein. Die Pioniere des Alpinismus wie Edward Whymper (1840–1911), der Erstbesteiger des Matterhorns und am Ende seines Lebens vereinsamt und dem Alkohol verfallen, Albert Frederick Mummery (1855–1895) und William Augustus Brevoort Coolidge (1850–1926) waren ziemlich trinkfest. Champagner und Wein standen auf ihren Touren höher im Kurs als Wasser oder Tee. Und die berühmten Bergführer aus jener goldenen Zeit der Erstbesteigungen waren vielfach pfeifenrauchend in den steilen Felswänden unterwegs – denn das strahlte Sicherheit und Vertrauen aus.

Bekanntestes Beispiel eines Alkoholexzesses in den Alpen ist wohl die Montblanc-Besteigung des damals 35-jährigen englischen Buchautors und Journalisten Albert Smith im Sommer 1851. Insgesamt umfasste die fröhliche Truppe 4 Briten, 16 Bergführer und 20 Träger für den Transport der Vorräte. Dazu gehörten unter anderem 60 Flaschen Tischwein, 6 Flaschen Bordeaux, 10 Flaschen Saint-Georges, 15 Flaschen Saint-Jean sowie 2 Flaschen Champagner und 3 Flaschen Cognac. Die 40-köpfige Expeditionsgruppe schlug ihr Nachtlager auf halbem Weg zum Montblanc im Bereich der Grands Mulets auf, wo sie ein üppiges Bankett veranstaltete. Es endete mit dem Wettbewerb, wer die leeren Weinflaschen am weitesten in die Tiefe werfen konnte. Trotz dieses Gelages erreichten die Engländer am anderen Tag um 9 Uhr den Gipfel, der übergewichtige Albert Smith als Letzter allerdings mehr tot als lebendig …

Feucht-fröhliche Jugenderinnerungen

In der heutigen Zeit sind solche hochalpinen Gelage kaum noch denkbar. Aber in den vielen Bergrestaurants und Alphütten geht auch heutzutage, allerdings noch vor den Corona-bedingten Einschränkungen, immer wieder die Post ab. Ein Beispiel ist das im Jahr 2000 leider abgebrannte gemütliche Restaurant auf dem Wildspitz (1580 m), dem höchsten Berg des Kantons Zug. Da wurde geraucht und gezecht, was das Zeug hielt. Legendär waren die Krummen, die zu jeder Wildspitz-Besteigung gehörten, und natürlich der Kaffee Schnaps, meistens gleich mehrere. So hat manch einer zu später Nachtstunde nach reichlichem Alkoholgenuss den bei Wind und Wetter nicht ganz ungefährlichen Abstieg kaum mehr gefunden. Einmal haben auch wir bis weit nach Mitternacht durchgefeiert, Tagwache war dann erst um 11 Uhr – mit brummendem Schädel, versteht sich.

Mein prägendstes Erlebnis eines Alkoholexzesses in den Bergen war vor über 40 Jahren in der Glärnischhütte – allerdings und zum Glück nicht als aktiv Beteiligter, sondern nur als Zuschauer. Ich wollte mit einem Kollegen den Glärnisch besteigen und wir übernachteten in der Glärnischhütte – zusammen mit ein paar Festbrüdern aus Zürich. Nach dem Nachtessen war der Teufel los, und unvergesslich war der Moment, als einer der Saufkumpane eine Flasche Rotwein in seinen Bergschuh schüttete und dann den ganzen Inhalt unter dem Gejohle seiner Kollegen leerte, bis zum letzten Tropfen, Fussschweiss inklusive. Am nächsten Tag bestiegen wir den Glärnisch, und als wir am frühen Nachmittag wieder zurückkehrten, fanden wir ein paar bleiche Alkoholleichen auf der Hüttenterrasse. Fazit: Wie sagte doch schon Paracelsus (1493–1541): «Die Menge macht das Gift.»Ruedi Horber

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