Publiziert am: 04.11.2022

Nicht ohne Bedingungen

STROMMARKT – Die Forderung des sgv, wonach für KMU im «freien» Strom­markt ein Wechsel in die Grund­ver­sorgung möglich sein soll, kommt nicht überall gut an. Was die Gegner ver­schwei­gen: Der sgv knüpft seine For­derung an klare Bedingungen. Dass der Strompreis deshalb für alle steigen soll, ist ein Ammenmärchen.

Schon seit dem Jahr 2010 fordert der Schweizerische Gewerbeverband, dass für Stromverbraucher im sogenannten «freien» Markt ein Wechsel in die Grundversorgung möglich sein soll. Diese – also keineswegs neue – Forderung hat der sgv auch in der aktuell schwierigen Situation für manche KMU rund um die Stromversorgung erhoben. Daran knüpft der Verband aber bestimmte Bedingungen. Während der Vorschlag dem Bundesrat überprüfenswert erscheint, erzählen seine Gegner Schauermärchen.

Wechsel unter klaren Auflagen

Wie funktioniert dieser Vorschlag nun genau? sgv-Präsident Fabio Regazzi formuliert ihn in seiner Motion 22.4014 klipp und klar: «Der Bundesrat wird beauftragt, die Stromversorgungsverordnung sowie andere relevante Rechtsquellen so zu ändern, dass Unternehmen, die im freien Strommarkt sind, auf eigenen Wunsch in die Grundversorgung wechseln können.»

Dann folgen die Bedingungen. So heisst es weiter in der Motion: «Dabei sollen bestimmte Auflagen gelten: Unternehmen, welche in die Grundversorgung zurückwechseln wollen, müssen ihre Absicht ein Jahr im Voraus bekannt geben; sie müssen dann eine gewisse Verweildauer (3 Jahre) in der Grundversorgung bleiben; und/oder sie müssen einen Ausgleichsbeitrag von maximal zehn Prozent auf dem Kostenanteil der Energie leisten.»

Ausgleich der Interessen

Diese Bedingungen stellen sicher, dass anders als von den Gegnern des Vorschlags befürchtet die Tarife der Grundversorgung nicht steigen. Mit der Kumulation von einjähriger Kündigungsfrist, dreijähriger Bezugsdauer und Penalty wird die Planungs- und Preisstabilität für Elektrizitätsversorgungsunternehmen gewährleistet.

Es ist interessant, dass die Kritiker nie auf diese Bedingungen eingehen. Sie tun so, als ob der sgv einen Sofortwechsel verlangen würde. Diese Behauptungen haben keinerlei Bezug zur Realität.

Doch, so mag man einwenden, warum sollte der Grundsatz «einmal frei, immer frei» nicht gelten? Immerhin ist der freie Strommarkt auch eine Forderung des sgv. Und genau hier liegt das Problem: Der Strommarkt ist eben gerade nicht frei. In Tat und Wahrheit ist er ein Oligopol, in dem die Stromunternehmen ihre Marktmacht knallhart ausspielen.

Oligopol bedeutet im vorliegenden Fall: Einerseits gibt es nur wenige Anbieter im Energiemarkt; andererseits ist es schwer, überhaupt in diesen Markt reinzukommen. Das Ausspielen der Marktmacht sieht man beispielsweise darin, dass immer die teuerste Produktionstechnologie den Marktpreis setzt. Die disziplinierende Wirkung des Wettbewerbs bleibt entsprechend aus. Auch das wird von den Gegnern des sgv-Vorschlags wissentlich verschwiegen.

Korrektiv gegen die Strombarone

Der Wechsel in die Grundversorgung, wie der sgv ihn vorschlägt, ist ein Korrektiv gegen diese massive Marktmacht. In der Grundversorgung werden Preise anders tarifiert als im Markt. Mit der unterschiedlichen Preiskalkulation entsteht ein gewisser Wettbewerb. Die Preise der Grundversorgung halten die Marktpreise in Schach. Artikel 6 des Bundesgesetzes über die Stromversorgung (StromVG) gibt den grossen Strombeziehern die Möglichkeit, zwischen beiden Versorgungsformen zu wechseln. Eine Einschränkung dieser Möglichkeit ist im Gesetz explizit nicht festgehalten.

Die Märchenonkel, welche den Vorschlag ablehnen, überbieten sich in Schauergeschichten. Interessant ist, dass diese Gschichtli-Erzähler die teuersten Betriebe im Land sind. Keine Branche wird grosszügiger subventioniert als die Elektrizitätswirtschaft. Keine Unternehmen haben einen stärkeren Gebietsschutz als diese Staatsfirmen. Und wenn sich die Strombarone grobfahrlässig verzocken, werden ihnen goldene Fallschirme – pardon: Rettungsschirme aufgespannt. Das alles, damit sie weiterhin Märchenonkel der Nation spielen können.

Henrique Schneider, stv. Direktor sgv

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