Publiziert am: 18.09.2015

Niemand wird gezwungen

LADENÖFFNUNGSZEITEN – Liberalisierte Öffnungszeiten tragen den unterschiedlichen Verhältnissen in der Schweiz Rechnung und stärken die Wettbewerbsfähigkeit des Detailhandels.

Es war im Jahr 2012: Der Tessiner CVP-Ständerat Filippo Lombardi reichte eine Motion ein. Sie will dem Detailhandel mehr Freiheit geben. Montags bis freitags von 6 bis 20 Uhr und samstags von 6 bis 19 Uhr sollen die Betriebe geöffnet sein dürfen. Der Sonntag sowie die Abend- und Nachtarbeit sind nicht betroffen. Drei Jahre später steht das Gesetz dazu im Parlament an; nächste Woche diskutiert der Ständerat. Die Vorzeichen stehen gut; sicher ist aber nichts.

Freiwillig – bloss flexibler

Vor allem aus gewerkschaftlichen Kreisen ertönt der Vorwurf, Mitarbeitende würden durch liberalisierte Ladenöffnungszeiten zu Mehrarbeit gezwungen. Dies ist aber nicht der Fall. Weder das Arbeitsgesetz noch die Arbeitszeiten werden durch das Ladenöffnungsgesetz geändert. Auch einige Detailhändler hatten Vorbehalte angebracht. Doch auch sie mögen beruhigt sein: Sie werden nicht gezwungen, irgendetwas an ihren jetzigen Öffnungszeiten zu ändern. Sie erhalten aber die Möglichkeit, dies zu tun. Eine solche Flexibilisierung ist angebracht.

Ökonomisch vernünftig

Eine Studie des Marktforschungsinstituts GfK Switzerland zeigt die Auswirkungen des Einkaufstourismus: Im Jahr 2012 betrug das Volumen 8,9 Milliarden Franken; im 2013 waren es bereits 10 Milliarden. Die Entscheidung der SNB im Januar 2015 beschleunigt diese Dynamik. Einige Schätzungen gehen sogar von 12 Milliarden aus. Zugegeben: Es ist klar, dass mit der Umsetzung der Motion Lombardi der Einkaufstourismus nicht automatisch zurückgeht. Die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz wird nicht mit einem Schlag verbessert; sie muss mit einer Serie von Massnahmen aufrechterhalten werden. Der vorliegende Gesetzesentwurf ist dazu geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit des Detailhandels zu erhöhen.

«IM ONLINE-HANDEL GIBT ES GAR KEINE
ÖFFNUNGSZEITEN.»

Das ist auch dringend nötig: Aufgrund der veränderten Lebensgewohnheiten haben Konsumentinnen und Konsumenten auch veränderte Einkaufsbedürfnisse. Sie kaufen nicht nur über die Grenze ein, sondern auch online. Im Online-Handel gibt es keine Öffnungszeiten und die Einkaufsmöglichkeiten jenseits der Grenze sind divers.

Konsumentinnen und Konsumenten schätzen die Flexibilität der neuen Lebensformen. Die Flexibilisierung der Landenöffnungszeiten folgt diesem Wandel.

Rechtlich unbedenklich

Es ist zu betonen, dass das Arbeitsgesetz (ArG) unverändert bleibt. Es erlaubt werktags bewilligungsfreie Öffnungszeiten von 6 bis 23 Uhr, und es regelt die Ruhezeiten ausführlich. Das vorgeschlagene Gesetz ist so­zialverträglich, gewährleistet den vollen Arbeitnehmerschutz und führt zu keiner Abänderung einer Bestimmung im ArG. Die wöchentliche Arbeitszeit bleibt unabhängig von den Öffnungszeiten dieselbe wie heute. Lediglich die Einsatzzeiten können sich teilweise ändern, was von vielen Angestellten sogar geschätzt wird und ihnen entgegenkommen kann. Wer abends länger arbeitet, hat dafür morgens mehr Zeit. Abendstunden und Samstagnachmittage sind zudem bei zahlreichen Teilzeitarbeitenden (Zweitverdienende) und Studenten besonders begehrt. Auch wird der unternehmerische Freiraum – immerhin ein Verfassungsrecht – gestärkt: Im Rahmen ihrer unternehmerischen Freiheit können Detailhändler die Öffnungszeiten den regionalen Gegebenheiten und v.a. den Kundenbedürfnissen in ihrem Einzugsgebiet anpassen. Quartierläden an gut frequentierten Passantenlagen können nach dem Vorschlag von den zunehmenden Einkäufen zwischen 17 Uhr und 20 Uhr profitieren und so ihr Geschäftsmodell flexibel auf die Bedürfnisse ihrer Kunden ausrichten. Der national einheitliche Mindestrahmen von 6 bis 20 Uhr bzw. von 6 bis 19 Uhr zwingt keine Unternehmung, diese bewilligungsfreien Öffnungszeiten auszuschöpfen. Er trägt damit den unterschiedlichen wirtschaftlichen, kulturellen und geografischen Verhältnissen in der Schweiz genügend Rechnung.

Henrique Schneider, Ressortleiter sgv

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