Publiziert am: 05.06.2020

«Normal» ist noch gar nichts

CORONA-KRISE – Trotz aller Freude ob der allmählichen Rückkehr in den Alltag: Die enormen Schäden des Lockdowns treten erst langsam zutage. Umso wichtiger, dass es keinen zweiten Lockdown gibt – und die Schweiz endlich Reformen anpackt.

Morgen Samstag ist es so weit: Ab dem 6. Juni werden die Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus weitgehend gelockert. So will es der Bundesrat. Grund ist die positive Entwicklung der Fallzahlen bei den Neuinfizierten, wie der Bundesrat am 27. Mai mitgeteilt hat. Inzwischen haben sich die Zahlen weiter verbessert: Bei Redaktionsschluss dieser Ausgaben waren es noch 19 Personen, die neu positiv auf das Virus getestet wurden.

Seit dem 30. Mai können sich 30 statt wie bisher bloss 5 Personen treffen; Veranstaltungen von bis zu 300 Personen sind ab morgen wieder möglich. Bergbahnen, Campings, Zoos und Schwimmbäder, Rodelbahnen oder Seilparks sind ebenso geöffnet wie Wellnessanlagen, Casinos oder botanische Gärten. In der Gastronomie sind wieder grössere Gruppen als bloss vier Personen zugelassen – Discos und Nachtclubs aber müssen weiterhin um Mitternacht schliessen.

Kein zweiter Lockdown

Der Schweizerische Gewerbeverband sgv hat die Öffnung der Wirtschaft und Gesellschaft als weiteren «Schritt in Richtung Normalisierung» begrüsst, gleichzeitig aber klargestellt: «Das für Wirtschaft und Gesellschaft schädlichste Szenario, ein Rückfall in den Lockdown, muss nun unter allen Umständen vermieden werden.» Das vom Parlament verabschiedete Konzept der schrittweisen Öffnung entspricht dem vom sgv entwickelten Konzept «Smart Restart». Es sieht ausdrücklich den gezielten Schutz von gefährdeten Personengruppen und Schutzkonzepte der Wirtschaft vor. «Ein erneuter Lockdown hätte gravierende Folgen für die Gesellschaft und Wirtschaft, und eine Erholung würde praktisch verunmöglicht», so der sgv weiter.

Massive Schäden treten zutage

Trotz aller Freude über die Rückkehr zu einer vermeintlich «neuen Normalität» ist klar: Normal läuft noch gar nichts in der Schweizer Wirtschaft. Im Gegenteil: Die massiven Schäden, die durch das abrupte Herunterfahren der Wirtschaft verursacht worden sind, geraten erst langsam ans Tageslicht. So ist etwa der Detailhandel im April gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent eingebrochen, der Autohandel gar um 50 Prozent. Die Zahl der ausgeschriebenen Stellen schrumpfte um 50 Prozent. Trotz einem ersten Öffnungsschritt schreiben 90 Prozent der Betriebe in der Gastronomie Verluste – die Liste liesse sich verlängern; die befürchtete Rezession beginnt eben erst. Gleichzeitig steigen die Schulden der öffentlichen Hand – Bund, Kantone und Gemeinden – massiv; heftige Verteilkämpfe sind zu erwarten oder haben bereits begonnen.

«Unternehmen nicht einengen»

Vor diesem Hintergrund wird klar: Die Schweiz muss sich darauf konzentrieren, die entstandenen Schäden zu beheben und neue – etwa durch einen Ausbau der Sozialwerke – gar nicht erst entstehen zu lassen. Schon heute sind die Lasten, die künftigen Generationen aufgebürdet werden, immens. Je stärker neuen Begehrlichkeiten nun nachgegeben wird, desto grösser die Bürde für die Zukunft der Schweiz.

Die Corona-Krise ist jedoch nicht die einzige Herausforderung für die Schweiz. Darüber hinaus stehen verschiedene Probleme und blockierte Reformvorhaben an. Dazu gehören etwa die Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) um ein Rahmenabkommen, die Reform der Altersvorsorge, die zunehmende Verkrustung des Arbeitsrechts sowie der Abbau des internationalen Steuerwettbewerbs.

Umso wichtiger, dass die Schweiz bald ein ambitioniertes Reformprogramm anpackt. Je besser dessen Umsetzung geschieht, desto schneller kommt das Land aus der Krise, desto vorteilhafter positioniert sich der Standort und desto kleiner wird die Bürde für die Zukunft. Es gilt, auf ein ordnungspolitisches Programm zu setzen. «Je weniger man Unternehmen einengt, desto innovativer und produktiver sind sie», sagt sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler. «Diese Produktivität führt zu Wirtschaftswachstum, der Schaffung von Arbeitsplätzen und einer Erhöhung der Lebensqualität für die gesamte Gesellschaft.» En

www.sgv-usam.ch

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