Publiziert am: 19.01.2018

Plan B auch in der Europapolitik

Tribüne

Brüssel hat der Schweiz keine Weihnachtsgeschenke gemacht. Im Gegenteil. Zuerst wurde unser Land wegen der privilegierten Besteuerung von Holdinggesellschaften auf eine graue Liste gesetzt. Dies trotz anderslautender Zusicherungen, die gegenüber unserem Finanzminister nach dem negativen Ausgang der Abstimmung über die USR III gemacht wurden. Der Schweiz, so hiess es damals, werde Zeit eingeräumt, um die entsprechenden Reformen auf den Weg zu bringen.

Die zweite Hiobsbotschaft vor Weihnachten betraf die befristete Anerkennung der Börsenregulierung. Die Befristung – so Brüssel – könne nur aufgehoben werden, wenn bei den Verhandlungen über den sogenannten Rahmenvertrag ein zügiger Abschluss im Frühjahr 2018 erreicht werde. Diese Art der Machtpolitik kommt wenig überraschend, hat die EU doch bereits die Anpassung über die Vorschriften der technischen Handelshemmnisse als Pfand gegenüber der Schweiz verwendet. Es ist deshalb kaum verständlich, warum man das letztliche Nachgeben der EU in dieser Frage im letzten Sommer als Tauwetter bezeichnen konnte, handelte es sich doch dabei nur um die Anpassung eines bestehenden Vertrages und damit um eine Frage von Treu und Glauben.

Die aktuelle Verknüpfung der Börsenregulierung mit dem Abschluss eines Rahmenabkommens mag macht­politisch für die EU Sinn machen, inhaltlich ist diese Verbindung doppelt absurd. Zum ­einen sagt uns der gesunde Menschenverstand, dass man technische Anforderungen entweder erfüllt oder eben nicht. Zum andern mutet es seltsam an, dass man einen sogenannten Partner über eine technische Vorgabe zum Abschluss eines «Freundschaftsvertrages» zwingen will. Dies ist umso erstaunlicher, als die Differenzen zwischen den beiden Parteien immer noch beträchtlich sind und eine Einigung noch nicht in Reichweite scheint. Unterschiedliche Positionen zwischen der Schweiz und der EU gibt es einerseits in der Frage des Geltungsbereichs eines allfälligen Streitbeilegungsverfahrens. Sodann ist das Verfahren zur Streitbeilegung selbst weiterhin strittig. Die Situation scheint also verfahren. Brüssel weiss, dass ein Abkommen, in dem der EuGH eine tragende Rolle spielt, weder im Parlament noch beim Schweizer Volk mehrheitsfähig ist. Eine Abstimmung über ein solches Abkommen macht zudem keinen Sinn, bevor das Volk nicht über die Selbstbestimmungsinitiative der SVP sowie die ebenfalls angekündigte Kündigung der Personenfreizügigkeit abgestimmt hat. Hier wird der Souverän die strategische Weichenstellung vornehmen und entscheiden, ob er den bilateralen Weg überhaupt weiterführen will. Jedenfalls macht es keinen Sinn, einen erbitterten Kampf um ein ungeliebtes Rahmenabkommen zu führen, solange die Grundsatzfrage nicht geklärt ist. Dies umso mehr, als in der Wirtschaft kaum mehr ein Interesse an einem solchen Abkommen besteht.

Die Rechnung ist schnell gemacht: Die Wirtschaft wirkt desinteressiert, die SVP sagt nein, CVP und FDP wollen keine fremde Richter, und selbst die SP dürfte sich nicht ohne verlässlichen Bündnispartner in einen solchen Abstimmungskampf stürzen wollen. Zudem sollte die Schweiz den Abschluss der Brexit-Verhandlungen abwarten. Genau das will die EU jedoch nicht. Alle 
Zugeständnisse, die gegenüber der Schweiz gemacht werden, könnten den Appetit der britischen «Abweichler» steigern. Wer geglaubt hat, der Brexit sei zum Vorteil der Schweiz, hat sich getäuscht. Vielmehr sehen die Falken im Umfeld der EU-Kommission keinen Unterschied zwischen der Schweiz und UK. In beiden Fällen ist Härte angesagt. Auch muss man davon ausgehen, dass es in Brüssel Kreise gibt, denen ein Scheitern des bilateralen Weges zupass käme. Anders ist die Verbindung zwischen technischen Fragen und dem Rahmenabkommen jedenfalls nicht zu erklären.

Der Bundesrat steht vor einer schwierigen Herausforderung. Sollte das Preis-Leistungs-Verhältnis eines Rahmenabkommens nicht stimmen, muss er das Verhandlungsergebnis ablehnen. Jedenfalls ist es höchste Zeit, dass der Bundesrat Handlungsalternativen entwirft und prüft und dem Parlament und Volk die Konsequenzen hieraus unverblümt aufzeigt. Dabei sollte er (endlich) mit einer Stimme sprechen!

*Karin Keller-Sutter ist seit 2011St. Galler FDP-Ständerätin. 2018 präsidiert sie das «Stöckli». Zuvor war sie Justizdirektorin ihres Kantons.

Die Tribüne-Autoren geben ihre eigene Meinung wieder; diese muss sich nicht mit jener des sgv decken.

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