Publiziert am: 21.11.2014

Qualifikation ist wichtiger als Alter

«POTENZIAL50PLUS» – Die Kampagne sensibilisiert Aargauer Arbeitgebende für die Qualitäten von Stellensuchenden im Alter von 50 Jahren und aufwärts.

Marc Koller sitzt im Bus in Wettingen und ist auf dem Weg zur Arbeit. Seine Augen bleiben an einem kleinen Plakat hängen. Ein Kopf, ein Name, eine Zahl: Rosa, 26. Die Frau sieht älter aus als 26. Bei der Zahl handelt es sich um die Jahre Berufserfahrung, liest Marc Koller. Mit den Plakaten mit dem Slogan «Die Qualifikation zählt, nicht das Alter» macht der Kanton Aargau auf das grosse Potenzial der über 50-jährigen Stellensuchenden aufmerksam. Marc Koller sucht gerade Verstärkung für das Start-up-Unternehmen Hotelcard AG und findet die Kampagne eine gute Sache. «Wieso nicht eine ältere Person einstellen, die über viel Erfahrung verfügt», denkt sich der Verkaufsleiter. Er meldet sich beim RAV Baden und wünscht ausdrücklich Kandidatinnen und Kandidaten im Alter über 50 Jahren. Er erhält vier passende Bewerbungsdossiers.

Eines davon gehört Evelyne Krachenfels, 56-jährig, gelernte kaufmännische Angestellte, die in ihrer Laufbahn schon verantwortungsvolle Positionen in der IT und im Verkauf innehatte. Bei ihrem letzten Arbeitgeber hatte ihr der neue Chef gekündigt. «Er ist einfach nicht mit mir warm geworden. Ich bringe gern meine Ideen ein und das fand er nicht bereichernd, sondern störend», sagt Evelyne Krachenfels. Nach viereinhalb Monaten Arbeitslosigkeit hatte sie 60 Bewerbungen geschrieben. Eines Tages drückte ihr die RAV-Personalberaterin einen Zettel von Hotelcard AG in die Hand. «Ich habe mir das angeschaut, fand es spannend und habe mich gleich beworben», sagt sie. Hotelcard AG ­ermöglicht Übernachtungen in ausgewählten Hotels zum halben Preis, es funktioniert ähnlich wie ein Halbtax-Abonnement.

Das Unternehmen sucht einen Key Account Manager. Das Vorstellungsgespräch läuft gut. Schliesslich erhält Evelyne Krachenfels die Zusage. Sie entscheidet sich trotz Abstrichen beim Lohn für das Angebot. «Ich kann hier viele Ideen einbringen und die Strukturen mitaufbauen», sagt sie. Von den acht Teammitgliedern sind ausser ihr und einer weiteren Mitarbeiterin alle unter 35. «Wir sind die Oldies im Team», sagt Evelyne Krachenfels über sich und ihre 58-jährige Kollegin. Sie sei immer wieder überrascht, wie viele Fachkenntnisse, Ideen und Engagement auch die jungen Praktikanten und Praktikantinnen einbringen. «Es ist ein Geben und Nehmen zwischen Jung und Alt.»

Mehr Stellensuchende über 50 einstellen

Für Urs Schmid, Projektleiter der Kampagne im Aargauer Amt für Wirtschaft und Arbeit, könnte die Geschichte von Koller und Krachenfels nicht schöner sein. «Ich hoffe, dass ganz viele andere Personalverantwortliche und Chefs aufgrund der Kampagne die Bewerbungsdossiers der über 50-Jährigen genauer studieren und auch Stellensuchende über 50 einstellen.» Denn das ist das Ziel der Kampagne Potenzial 50plus, die der Kanton Aargau im Oktober 2013 gestartet hat. Das Problem: Menschen über 50 sind nicht häufiger arbeitslos als jüngere, aber wenn sie arbeitslos werden, brauchen sie im Durchschnitt über ein Jahr, bis sie ­wieder Arbeit finden. Dabei handelt es sich um ein riesiges Potenzial, das die Älteren mitbringen. Sie haben grosse Fachkenntnisse, viel Erfahrung und ein breites Netzwerk. Trotzdem halten sich viele Vorurteile gegenüber über 50-Jährigen. Sie seien nicht mehr flexibel, nicht auf dem neusten Wissenstand oder hätten Mühe mit jüngeren Vorgesetzten. Die meisten Vorurteile gegenüber älteren Mitarbeitenden wurden wissenschaftlich längst entkräftet. Teams mit jungen und alten Mitarbeitenden sind gar produktiver als Teams, die nur aus Jungen bestehen. Auch Marc Koller von Hotelcard AG überzeugt die Mischung von Jung und Alt: «Die älteren Semester sehen Dinge, die wir nicht sehen. Und wir werden auf Dinge aufmerksam, die die Älteren vielleicht nicht sehen.» Er empfiehlt jedem Betrieb, auf eine gute Altersdurchmischung zu achten und auch älteren Stellensuchenden eine Chance zu geben.

Maria-Monika Ender
Amt für Wirtschaft und Arbeit Aargau

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