Publiziert am: 21.01.2022

«Schwächen, die bereits bestehen»

KRISENKOMMUNIKATION – Er ist «Mister Corona»: Daniel Koch. Schon lange vor Covid-19 hatte er als medizinischer Koordinator in Krisengebieten heikle Aufgaben zu meistern. Seine Erkenntnisse teilte er in Klosters mit den Gästen der Winterkonferenz und stellte sich dabei auch den kritischen Fragen aus dem Gewerbe.

Zum Abschluss der 72. Gewerblichen Winterkonferenz in Klosters hielt Daniel Koch auf der Madrisa ein Referat mit einigen Überraschungen. Der durch die Corona-Pressekonferenzen bekannt gewordene ehemalige Leiter übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) scheute nicht vor klaren Ansagen und ehrlichen Antworten zurück. Auf die Frage von sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler, weshalb anstelle der demokratisch legitimierten ausserparlamentarischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) – ihre Mitglieder sind ausgewiesene Experten und vom Bundesrat gewählt – die umstrittene Science Task Force eingesetzt wurde. Koch suchte gar nicht erst nach dem Warum: «Dass die ausserparlamentarische Kommission nicht eingesetzt wurde, war falsch.» Er schob nach, dass es nicht vorgesehen sei, wie die Kommission im Ernstfall zu agieren habe. Dies, damit die Mitglieder der Kommission in ihren Funktionen – zum Beispiel in Spitälern – nicht noch zusätzlich belastet werden. «Das würde ich heute ganz klar anders machen», stellte Koch klar. Die Folge dieses Vakuums war, dass sich Forschende «mit und ohne Eigeninteresse» so stark öffentlich in Szene setzen konnten – Stichwort Task Force. Biglers Reaktion: «Schön, wenn man irgendwann später recht bekommt.»

«… ist mir ein Rätsel»

Unter dem Titel «Die nächste Krise kommt bestimmt» zeigte Daniel Koch auf, weshalb aus Problemen überhaupt erst Krisen werden und er arbeitete dies natürlich in erster Linie anhand der Covid-19-Pandemie auf. «Ich hoffe, ich sei hier nicht die Krise», eröffnete Koch heiter. In der Schweiz sei in der Covid-19-Pandemie «einiges nicht so gelaufen, wie es hätte laufen können». Eine Krise bedeute immer, dass es an etwas fehle. Zur Veranschaulichung zeigte er ein Bild der sinkenden Titanic. Hätte es genügend Rettungsboote gehabt und wären Besatzung und Passagiere besser geschult gewesen, dann hätte es womöglich gar keine Krise gegeben. Aber eben: In der Krise fehle es immer an etwas, «oft auch am Menschlichen».

«Einiges nicht so gelaufen, wie es hätte laufen können.»

Bei Krisen gehe es nicht nur darum, wie man sie im vornherein verhindern könne. Oft sei dies gar nicht möglich. «Kein Land der Welt kann diese Pandemie durchstehen, ohne dass sie zur Krise wird.» Am Ende werde es alle Länder treffen. «Auch die, die bisher noch glauben, sie hätten die Krise verhindern können.» Koch glaubt, dass einigen Ländern das Schlimmste noch bevorsteht. Dass China beispielsweise die Null-Covid-Strategie durchziehen könne, glaubt er nicht. Wie China und allgemein die asiatischen Länder «da rauskommen wollen, ist mir ein Rätsel». Es werde dort noch zu vielen Fällen und dadurch Ausfällen in der Wirtschaft kommen, da die Immunisierung zu wenig weit fortgeschritten sei.

«Es gibt wirklich Hoffnung»

Ein positiveres Bild zeichnete Daniel Koch für Nordamerika und Europa. Ende dieses Winters könnte die Lage «beherrschbar» sein, eventuell müsse man die Hochrisikopatienten nochmals boostern.

Dem Gesamtbundesrat erteilte «Mister Corona» insgesamt gute Noten. Die Regierung und die Verwaltung hätten sich «wirklich reingekniet». Er monierte aber auch, dass man die Gesundheit der Leute nicht auf die Bekämpfung des Virus reduzieren könne. «Man kann nicht alles, was Business ist, weiterlaufen lassen und alles, was Freizeit ist, verbieten.» Er verwies dabei auf einen Auftritt von Alt Bundesrat Adolf Ogi in einer SRF-Talkshow, wonach mit der Freiheit auch die Freude eingeschränkt wurde. Dadurch leiden Zusammenhalt und Verständnis in der Bevölkerung.

«Riesendefizit» in der Digitalisierung

Mit viel statistischem Material wurde untermauert, was wir derzeit über die Pandemie wissen, und was eben auch nicht. Wichtige Hinweise auf die Schwere einer Krise lassen sich gemäss Koch in den Zahlen zur Übersterblichkeit finden. So auch bei Covid-19. Sein Fazit: «Dieses Virus tötet die Kinder nicht.» Ganz anders bei älteren Menschen: «Für ältere Leute ist dieses Virus gefährlich. Es tötet Leute.» Viel weniger hilfreich sind die Fallzahlen, erst recht im internationalen Vergleich. Es komme darauf an, wie viel getestet werde. In der ersten Welle wurde vom Testen abgeraten, stattdessen sollten sich Personen, die sich krank fühlten einfach in Isolation begeben. Dies hatte zur Folge, dass viele Fälle verpasst wurden. Ähnlich sei es auch jetzt: Steige die Positivrate über 4 Prozent, sei kein verlässliches Bild mehr möglich. Derzeit liegt die Positivrate in vielen europäischen Ländern zwischen 10 und 40 Prozent. «Man weiss nicht, wie viele Fälle wir verpassen.» Die Dunkelziffer dürfte aber gross sein. Weiter seien auch kaum Aussagen zu den Ansteckungsorten und über die Art der Verbreitung – Schmierinfektionen oder Aerosole – zu machen. Kochs persönliche Meinung und ehrliche Antwort dazu lautete jeweils gleich: «Man weiss es einfach nicht.»

«Man weiss nicht, wie viele Fälle wir verpassen.»

In der Fragerunde wurden natürlich auch die Masken angesprochen. Er halte den Nutzen weiterhin für überschätzt, so Koch, die Maske sei einfach «ein Hilfsmittel, es wird uns weder vor dieser noch vor der nächsten Pandemie retten». Dies sei weiterhin seine Meinung und es habe nichts damit zu tun, dass man zu Beginn der Pandemie zu wenig Masken gehabt hätte. Er erkannte weiter «ein Riesendefizit in der Digitalisierung in der Schweiz». Eine grundlegende Erkenntnis von Koch zum Ende des Referats lautete: «Krisen zeigen Schwächen auf, die bereits bestehen.»

Adrian Uhlmann

www.sgv-usam.ch/klosters

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