Publiziert am: 02.07.2021

«Unbürokratische» Schweiz?

REGULIERUNG – Vielerorts hält sich die Meinung hartnäckig: In der Schweiz seien die bürokratischen ­Prozesse schlank und effizient. Das ist aber ein Mythos. Denn der neueste Länderbericht der OECD zeigt: In Sachen Bürokratie fällt die Schweiz teilweise hinter die EU zurück.

Die Organisation für Ökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung OECD publiziert regelmässig Länder­berichte zu ihren Mitgliedstaaten. Darin werden verschiedene Aspekte unter die Lupe genommen. Wer den Bericht zur Schweiz liest, findet viele gute und einige bekannte Nachrichten. Doch wenn man sich mit dem Kapitel zur Bürokratie und zu den Regulierungskosten auseinandersetzt, wird einem angst und bange.

Wie der Esel am Berg

Dass die Regulierungskosten und damit die Bürokratie in der Schweiz hoch und einschneidend sind, ist bekannt. Jährlich gehen etwa 10 Prozent des Bruttoinlandprodukts damit verloren. Das sind circa 70 Milliarden Franken. Doch was wirklich beunruhigend ist: Während andere Länder Wege finden, unnötige Regulierungskosten abzubauen, steht die Schweiz wie der Esel am Berg. Das macht sich bemerkbar. In Sachen Wettbewerbsfähigkeit fällt sie mehr und mehr zurück.

Marktindikatoren

Marktindikatoren sind eine Grundlage für den OECD-Vergleich. In sieben Dimensionen werden Länder gegenübergestellt, wobei es immer den Wert des einzelnen Landes gibt, der mit einem OECD-Durchschnitt verglichen wird. Daneben gibt es eine Spitzengruppe, der Durchschnittswert der fünf Bestplatzierten.

Die schlechte Nachricht vorab: Die Schweiz ist in keinem Indikator unter diesen Top Fünf. Besser als der OECD-Schnitt ist die Schweiz in Sachen Gründung von Start-ups – allerdings meilenweit von den besten fünf entfernt – und Freiheit in der Erbringung von Dienstleistungen (inklusive Plattformen). Geringfügig schlechter als die OECD schneidet die Schweiz ab in Sachen Staatseingriffe in Unternehmen, Abbau von Regulierungskosten und Produktions- sowie Investitionsfreiheit.

«UNSER LAND BRAUCHT DRINGEND EINE VITALISIERUNG.»

Wo der Schweiz aber ein wahres Armutszeugnis ausgestellt wird, ist in der Governance von staatsnahen Unternehmen. Hier rangiert sie unter den schlechtesten OECD-Ländern. Der Schnitt der Marktindikatoren platziert die Schweiz als geringfügig unter dem OECD-Durchschnitt – und weit, wirklich weit weg von der Topliga.

Geschäftsindikatoren

Die andere Grundlage für den Vergleich sind die Geschäftsindikatoren. Diese wollen aus der Perspektive des einzelnen Unternehmens aufzeigen, wie einfach es ist, Geschäfte zu ­machen. In nur vier von elf Indikatoren liegt die Schweiz hier vor der OECD: Eigentumsgarantie – als Spitzenwert –, Zugang zu Elektrizität, Steuersystem und Freihandel.

Unter dem OECD-Schnitt liegt die Schweiz bezüglich Kreditwesen, Unternehmensgründung, Vertragsdurchsetzung, Einholen von Bau­be­willigungen, Insolvenzverfahren und Schutz von Aktionären. Insgesamt schneidet hier die Schweiz leicht unter dem OECD-Schnitt und leicht unter der EU ab. Das sind keine guten Nach­richten.

Seit Jahren verliert die Schweiz an Wettbewerbsfähigkeit

Die Schweiz verliert seit Jahren an Wettbewerbsfähigkeit. Auch wenn sie einmal Spitzenwerte darin belegt hat, ist sie heute nur noch schlechteres Mittelfeld.

Das bedeutet: Unser Land braucht dringend eine Vitalisierung. Und es braucht vor allem eine Regulierungskostenbremse. Mit ihr können unnötige Regulierungskosten abgebaut und neue verhindert werden. Das erhöht die Wettbewerbsfähigkeit.

Henrique Schneider, Stv. Direktor sgv

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