Publiziert am: 11.12.2020

«Wichtig ist der Wettbewerb»

PIERRE KOHLER – Mittel- und langfristig wird eine grosse Mehrheit der Bevölkerung von den Vorteilen von 5G überzeugt sein, sagt der Präsident von Suissedigital. 5G sollte nicht gegen Glasfaser- und Kabelnetze ausgespielt werden.

Schweizerische Gewerbezeitung: Covid-19 hat der Digitalisierung massiven Auftrieb verliehen. Ist dies ein vorübergehender Effekt, oder wird sich diese Entwicklung langfristig in so rasantem Tempo fortsetzen?

Pierre Kohler: Es ist für mich klar, dass Telearbeit, Videokonferenzen, Webinare, virtuelle Konferenzen und Internetschulungen nach dem Ende der Pandemie nicht aus unserem Leben verschwinden werden. Der durch die Pandemie ausgelöste Digitalisierungsschub wird zweifellos weitergehen, aber nicht im gleichen Tempo. Doch die Pandemie hat uns auch die Grenzen der Digitalisierung aufgezeigt. Wir wissen jetzt zum Beispiel, dass Videokonferenzen nie so effektiv sein werden wie direkte persönliche Kommunikation.

Wie können Schweizer KMU gestärkt aus dieser Krise ­kommen?

Auch wenn es wie eine Binsenweisheit klingt: Ich bin überzeugt, dass es in Krisensituationen immer auch Chancen gibt. Viele KMU haben aufgrund der Pandemie derzeit weniger Arbeit. Das bedeutet auch, dass sie in ihrem täglichen Leben tendenziell mehr Zeit und weniger Stress haben. Diese Zeit kann und sollte genutzt werden, um grundlegende Fragen zur Positionierung und strategischen Ausrichtung des Unternehmens zu stellen – insbesondere auch im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung.

Mitglieder von Suissedigital haben auf die Gesundheitskrise mit einer Erhöhung der Bandbreitenkapazität reagiert. Könnte man sagen, dass die Mitglieder Ihres Verbandes und der Verband selbst von dieser Situation ­profitieren?

Die Pandemie war und ist ein wichtiger Lackmustest für die Mitglieder von Suissedigital. Bislang haben sie ihn mit Bravour bestanden. Mit dieser Prüfung gehen sicherlich auch Positionierungschancen einher, die unsere Branche in gewissem Umfang nutzen konnte. Mit ihrem leistungsstarken Angebot, dem einfachen Kundendienst und den zahlreichen Service- und Verkaufsstellen, die während des Lockdowns weitgehend geöffnet blieben, haben die Mitglieder von Suissedigital dafür gesorgt, dass das Leben in der Schweiz trotz der schwierigen Bedingungen weitergehen kann. Darüber hinaus unterstützten sie die Bevölkerung mit der Erhöhung der freien Bandbreite, Kommunikationsguthaben, kostenlosen Inhalten (Kinderkanäle, Unterhaltung), Gebührenermässigungen, WLAN-Ausrüstung und Liveübertragung von Gottesdiensten, wo immer dies möglich war.

Die Anforderungen an die Verfügbarkeit und Geschwindigkeit von Netzwerken steigen ständig. Wie können wir die Bereitstellung einer ausreichenden Bandbreite in der Schweiz sicherstellen?

Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Infrastrukturwettbewerb zwischen der Swisscom, den Verbundunternehmen und den Kabelnetzbetreibern, der in der Schweiz seit der Liberalisierung der Telekommunikation besteht. Sie ermöglicht es der Schweizer Breitbandversorgung, im internationalen Ranking an der Spitze zu stehen. Um dies zu gewährleisten, investieren die Mitglieder von Suissedigital weiterhin kontinuierlich und bedarfsorientiert in den Ausbau ihrer Netzinfrastruktur. Diese Investitionen stellen sicher, dass sie auch in Zukunft in der Lage sein werden, die steigende Nachfrage zu befriedigen.

Wie wichtig ist 5G für die digitale Zukunft und den Wirtschaftsstandort Schweiz?

5G wird in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel in der industriellen Automatisierung, im Bereich der Mobilität oder in der Medizin. Es ist wichtig zu wissen, dass die Leistung von 5G direkt von der Leistung der Netzinfrastruktur im Boden abhängig ist. Deshalb sollte 5G nicht gegen Glasfaser- und Kabelnetze ausgespielt werden. Das intelligente Zusammenspiel von Leitungs- und Funktechnik ist der einzige Schlüssel zum Erfolg.

Welche Bedeutung messen Sie den Anti-5G-Kampagnen in den Kantonen bei? Wie gehen Sie damit um?

Die Schweiz ist in der glücklichen Lage, offene Debatten führen zu können. Das ist die Stärke unserer direkten Demokratie. Dies ist derzeit auch für 5G der Fall. Mittel- und langfristig wird eine grosse Mehrheit der Bevölkerung von den Vorteilen von 5G überzeugt sein. Es braucht immer ein wenig Zeit, bis sich neue Technologien durchsetzen. Dies ist auch bei 5G der Fall. Die Diskussion muss auf objektiven Fakten beruhen, und die Lage darf nicht überdramatisiert werden.

Mit welcher Unterstützung können Sie in Bundesbern rechnen?

Viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier verstehen die Bedeutung der Telekommunikation und damit auch der neuen Übertragungstechnologien für die Schweiz sehr gut. Das sehen wir immer wieder bei unseren Veranstaltungen für Parlamentsmitglieder. Wir werden daher im Allgemeinen gut unterstützt. Ein Problem ist, dass die Swisscom aufgrund ihres Status als staatliches Unternehmen manchmal gegenüber unseren Mitgliedern in Bezug auf die Gesetzgebung einen Vorteil hat.

In welche Richtungen werden sich die digitalen Netzwerke und das Internet der Dinge weiter­entwickeln?

Eine leistungsfähige Breitbandversorgung ist eine Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren des Internets der Dinge. Dank der sehr guten Breitband-Internetabdeckung, die durch unsere Mitglieder ermöglicht wird, verfügt die Schweiz über eine ausgezeichnete Basis für die Entwicklung des Internets der Dinge. Die Schlüsselwörter in diesem Zusammenhang sind Smart City, Smart Home und Industrie 4.0. Suisse­digital hat auch eine Broschüre zu diesem Thema veröffentlicht.

Was bedeutet diese Entwicklung in Bezug auf den Datenschutz und die digitale Sicherheit?

Cybersicherheit ist ein sehr wichtiges Thema. Als Verband beschäftigen wir uns schon seit langem mit diesem Thema. Wir bieten unseren Mitgliedern Workshops und Unterstützung an. Darüber hinaus möchten wir auch die breite Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisieren. Deshalb haben wir einen Test online gestellt, mit dem jeder sein Wissen zum Thema Cybersicherheit überprüfen und aktualisieren kann. Der Test kann unter folgendem Link aufgerufen werden: https://securitycheck.suissedigital.ch.

Was sagt Ihnen der kürzlich von den Tessiner Medien erwähnte Fall eines Benutzers, der wegen «übermässiger» Nutzung des Netzes blockiert wurde?

Ich kann und werde mich zu diesem speziellen Fall nicht äussern. Aber eines kann ich ganz allgemein sagen: Die Telekommunikationsunternehmen sind dafür verantwortlich, allen Nutzern unterschiedslos unzählige Anwendungen in hervorragender Qualität zur Verfügung zu stellen. Jeder, der sein Breitband-Abonnement enorm und für extrem datenintensive Anwendungen nutzt, setzt dies aufs Spiel. In extremen Fällen scheint mir eine Reduzierung der Internetgeschwindigkeit oder eine Begrenzung der Lautstärke ein vertretbarer Ansatz zu sein. Dies muss natürlich in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen klar geregelt sein.

Wie sehen Sie die Abgrenzung zwischen privaten und öffentlichen Dienstleistern im Bereich der Digitalisierung?

Private Anbieter sind tendenziell etwas flexibler und schneller bei der Entwicklung und Einführung neuer Angebote. Sie können im Bereich der Digitalisierung, die sich durch ihre Schnelligkeit auszeichnet, eine Rolle spielen. Letztlich ist es immer eine Frage der Menschen, des Engagements und der Kreativität; die Organisationsform ist zweitrangig.

Interview:

François Othenin-Girard

www.suissedigital.ch

ZUR PERSON

Pierre Kohler wurde am 3. Februar 1964 in Delémont geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Nach Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften an der Universität Fribourg Ausbildung zum Rechtsanwalt. CVP-Stadtrat in Delémont. Mitglied des jurassischen Parlaments. Regierungsrat von 1993 bis 2002; Präsident der jurassischen Regierung in den Jahren 1995 und 2000. Nationalrat von 2004 bis 2008. Stadtpräsident von Delémont von 2009 bis 2014. Präsident von Suissedigital seit 2014.

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