Publiziert am: 22.01.2016

Wie geht's weiter mit AHV und BVG?

ALTERSVORSORGE – Ohne Flexibilität beim Rentenalter sind auch keine Erhöhungen bei der Mehrwertsteuer möglich, so der sgv. 
Im Zentrum der Überlegungen steht der Vorschlag des sgv, das Rentenalter – abhängig vom AHV-Fonds – schrittweise anzupassen.

Zum Auftakt der «Auslegeordnung Altersvorsorge» präsentierte der frühere deutsche FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Uwe Schäffler in Klosters einen Blick in die triste Realität der deutschen Sozialpolitik. Schäffler bezeichnete Deutschland als «zutiefst sozialistisches Land», das, «besoffen durch Schweinwohlstand», sich immer schneller in Richtung eines staatlich kontrollierten Wirtschaftssystems bewege.

Mit rund 80 Milliarden Euro jährlich würden Renten von durchschnittlich 800 Euro für Männer und 600 Euro für Frauen auf ca. 1300 Euro erhöht. Das Ziel sei, rund 44 Prozent des zuletzt erwirtschafteten Einkommens als Rente auzuzahlen. «Tatsächlich liegt die Zahl tiefer.»

Steuern und Abgaben fressen laut Schäffler rund 40 Prozent des Einkommens weg. «Das deutsche Steuerrecht diskriminiert das Sparen», stellte der Geschäftsführer der liberalen Berliner Denkfabrik «Prome­theus» fest. Schäffler plädierte für ein «gerechtes Steuersystem», in dem Menschen, statt jährlich, über ihre ganze Lebensspanne und ohne Progression besteuert werden sollten. Statt durch Mehrfachbesteuerung das Sparen zu bestrafen, solle der Staat beim Konsum ansetzen, auf Anlagevorschriften verzichten und den Individuen – mit der verbindlichen Vorgabe des Verzichts auf jeglichen späteren Anspruch auf Sozialdienstgelder – den Entscheid überlassen, wann sie in Rente gehen wollen. Jeder Mensch müsse für sich selber definieren, wie sein Kapital erhalten oder vermehrt werden könne, so Schäfflers Vision. Die Realität aber sehe anders aus: Indem der Staat – entgegen der Tatsachen – eine niedrige Steuerlast suggeriere, verschleiere er, dass er seine Bürger anhaltend stark schröpfe, um selber nicht sparen zu müssen.

Kein Ausbau der AHV

sgv-Vizedirektor und Sozialversicherungsexperte Kurt Gfeller lenkte den Blick zurück auf die Schweiz. Hier ist es mehr als 20 Jahre her, seit 1995 zuletzt eine Rentenreform realisiert worden ist. Seither haben sich die Probleme im Schweizer Rentensystem drastisch verschärft. Die weiterhin stark steigende Lebenserwartung in Kombination mit einer wachsenden Rentnerschar bei rückläufigen Beitragszahlern und dramatisch gesunkenen Zinserträgen führten dazu, dass das Kapital der AHV «früher oder später» aufgebraucht sein werde. Eine Sanierung der ersten Säule sei daher zwingend, so Gfeller. Mehr Zuwanderung löse das Problem nicht; es werde bloss in die Zukunft verschoben. Mehr Wirtschaftswachstum könne nicht verordnet werden, Rentenkürzungen seien politisch chancenlos und Mehreinnahmen hätten negative Auswirkungen auf Bevölkerung und Wirtschaft zugleich.

Was also tun? Während der Bundesrat im Rahmen der Altersreform 2020 vor allem auf Mehreinnahmen setzt, verlangt der Schweizerische Gewerbeverband, dass auch eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters kein Tabu sein darf. Bei einer allfälligen Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes auf maximal 0,6 Prozent signalisierte der sgv-Rentenexperte Kompromissbereitschaft, während er der Forderung nach höheren Lohnprozenten eine kategorische Absage erteilte. Ebenfalls ein «Njet» gibt’s vom sgv zum Vorschlag aus dem Ständerat nach einer Erhöhung der AHV-Renten um 70 Franken.

In der 2. Säule plädierte Gfeller für eine Senkung des Umwandlungssatzes von heute 6,8 auf 6 Prozent. Um den heutigen Stand zu halten, wären Kapitalrenditen von knapp 5 Prozent nötig – in Zeiten von Negativzinsen ein völlig utopisches Ziel.

«Bitte mehr Ehrlichkeit»

Unter der Leitung von Dominik Feusi (Basler Zeitung) diskutierten anschliessend die Nationalräte Thomas de Courten (SVP) und Hans-Ulrich Bigler (FDP/Direktor sgv), Nationalrätin Ruth Humbel (CVP) sowie Gewerkschaftsbund-Präsident und Ständerat Paul Rechsteiner (SP) über die Zukunft der Altersvorsorge. Nach einer ausgiebigen Zahlenschlacht um MWSt und Lohnprozente blieb den Zuhörern in Erinnerung: Es geht um unser Geld! Und um die Frage, wie wir nach dem Ausscheiden aus der Arbeitswelt unsere alten Tage verbringen werden.

Paul Rechsteiner verteidigte die Anhebung der AHV-Renten um 70 Franken; bei einer Anhebung des Rentenalters für Frauen und einer Senkung des Umwandlungssatzes in der 2. Säule komme es andernfalls zu Renteneinbussen, was die Bevölkerung nicht akzeptieren werde. «Jede Reform muss die Renten garantieren, sonst ist sie zum Scheitern verurteilt», sagte der SGB-Boss.

Ruth Humbel bezeichnete den ständerätlichen Kompromiss als «gute Ausgangslage» für die Diskussion im Nationalrat. Eine Erhöhung des Rentenalters habe in ihren Augen heute keine Chance, sie solle daher auf eine nächste Reform verschoben werden.

«Sie wollen also diese heisse Polit-Kartoffel an die nächste Generation weiterreichen», kritisierte sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler und skizzierte den vom Gewerbeverband erarbeiteten und von de Courten im Nationalrat eingebrachten Vorschlag: eine schrittweise Erhöhung – später allenfalls auch eine Senkung – des Rentenalters in Abhängigkeit vom Finanzierungsgrad des AHV-Fonds.

«Dieses Vorgehen ist sozial verträglich», sekundierte Thomas de Courten und verlangte gleichzeitig «mehr Ehrlichkeit» gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. «Eine höhere Lebenserwartung heisst auch, dass länger gearbeitet werden muss.» Zusätzliches Geld alleine führe nur dazu, dass bestehende Probleme überdeckt würden. De Courten sprach sich damit auch klar gegen eine Erhöhung der AHV-Renten aus: «Das können wir uns schlicht nicht leisten!»

Auch Bigler stellte klar, dass die Vorschläge aus dem Ständerat den Interessen des Gewerbes nicht entsprechen. Die einseitige Konzentration auf Mehreinnahmen in der bundesrätlichen Vorlage sei ebenso abzulehnen. Hingegen sei es durchaus sinnvoll, die Probleme in der AHV und im BVG gemeinsam unter die Lupe zu nehmen. Gefragt seien aber nicht in erster Linie rasche, sondern vor allem nachhaltige Lösungen. Konkret heisse dies: «Ohne Anpassungen beim Rentenalter sind auch keine Anpassungen bei der MWSt möglich.»Gerhard Enggist

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