Publiziert am: 05.07.2019

«Wir werden stark reguliert»

FACHVERBAND FÜR SELBSTMEDIKATION – Mit der Revision des neuen Heilmittelgesetzes kommt Bewegung in die Branche. Die Selbstmedikation geniesst einen hohen Stellenwert – denn sie spart Gesundheitskosten und stärkt die Eigenverantwortung. Die Digitalisierung sowie die laufend an die EU-Norm angepassten Gesetze sind grosse Herausforderungen für die Mitglieder.

Herr und Frau Schweizer nehmen ihre Gesundheit gerne selbst in die Hand und zeichnen sich in diesem Bereich durch eine überdurchschnittlich hohe Eigenverantwortung aus. «Schweizer geben fast doppelt so viel Geld für rezeptfreie Arzneimittel, Medizin- und Gesundheitsprodukte aus als Europäer und nehmen damit ihre Eigenverantwortung für die Gesundheit wahr», weiss Martin Bangerter, Geschäftsführer des Schweizerischen Fachverbandes für Selbstmedikation ASSGP. Mit dem neuen Heilmittelgesetz, das auf den 1. Januar 2019 in Kraft getreten ist, wurden die Arzneimittel vom Bund neu eingeteilt. Dabei wurde die Kategorie C mit 640 rezeptfreien, aber apothekenpflichtigen Arzneimitteln aufgelöst. «Neu sind 580 Heilmittel nicht nur in Apotheken, sondern rezeptfrei auch in Drogerien erhältlich. Ebenso sollen 100 Produkte, die bisher nur nach Fachberatung in Apotheken und Drogerien erhältlich waren, neu für den Verkauf im Detailhandel frei-gegeben werden», sagt Bangerter. Gleichzeitig wird die Medizinprodukteregulierung, die vertraglich an die EU-Regulierungen gebunden ist, zurzeit mit dem Ziel, die Patientensicherheit weiter zu erhöhen, überarbeitet. «Die Schweizer Gesetzgebung soll anschliessend mit dem EU-Gesetz kongruent sein», konkretisiert Bangerter. Ebenfalls werden aktuell viele Regelungen des Lebensmittelgesetzes, die im Mai 2017 in revidierter Form in Kraft getreten sind, angepasst.

«Neu sind 580 Heilmittel nicht nur in Apotheken, sondern rezeptfrei auch in Drogerien erhältlich.»

Die Vernehmlassung dazu läuft. Das revidierte Heilmittelgesetz schafft auch neue Möglichkeiten für vereinfachte Zulassungen. «Unter bestimmten Bedingungen können Wirkstoffe, die in Arzneimitteln in einem EU/EFTA-Land schon seit mindestens zehn Jahren auf dem Markt sind, mit deutlich weniger Aufwand zugelassen werden», so Bangerter. Arzneimittel, Medizinprodukte und Nahrungsergänzungsmittel sollen qualitativ und bezüglich Patientensicherheit höchsten Anforderungen genügen. Damit dies nachvollziehbar ist, steigen die Anforderungen an die Mitglieder im administrativen Bereich laufend und werden immer strenger. «Unsere Branche wird stark reguliert. Dabei spielt die Harmonisierung mit der europäischen Gesetzgebung eine immer grössere Rolle», so Bangerter. Der dadurch immer grössere administrative wie auch zeitliche Aufwand ist nicht nur für die KMU in der Arzneimittelbranche ein massiver Kostenfaktor.

Mit Selbstmedikation Gesundheitskosten senken

Ein Kernanliegen der ASSGP ist, die Selbstmedikation zu fördern. Leichte Erkrankungen, Blessuren und Gebrechen können gut und sicher mit rezeptfreien Arzneimitteln behandelt werden. Dadurch kann mancher Gang zum Arzt vermieden werden. Dies ist gemäss Bangerter allerdings nur möglich, weil nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ausschliesslich durch Fachpersonal abgegeben werden dürfen. «Medikamente sind keine Handelsware. Wenn der Kunde nicht beraten wird, kann grosser Schaden angerichtet werden, es besteht beispielsweise die Gefahr, dass Krankheiten verschleppt werden, wenn einfach nur Symptome mit Medikamenten überdeckt werden», so Bangerter. «Kernaufgabe des Fachhandels ist es denn auch zu informieren, welches Medikament wann eingenommen werden kann, wie es wirkt, welche Nebenwirkungen auftreten können, in welcher Situation von einer Einnahme abzusehen ist und wann der Besuch beim Arzt der Selbstmedikation vorzuziehen ist.»

«Mit der Digitalisierung verändert sich die Struktur der Branche in den nächsten fünf bis zehn Jahren.»

Laut Experten können durch von Fachpersonen geleitete Selbstmedikation jährlich Kosten in Millionenhöhe gespart werden: «Selbstmedikation hat einen markanten Einfluss auf die Kostenentwicklung des Gesundheitswesens. Es gibt zwar schon viele, die sich bei einem Schnupfen oder verstauchten Knöchel Hilfe im Fachhandel holen, das Potenzial ist aber noch nicht ausgeschöpft», so Bangerter. Dieser Aspekt kommt in entsprechenden Diskussionen noch zu wenig zum Tragen. Die Möglichkeiten der Selbstmedikation müssen daher noch vermehrt einbezogen werden. «Wir müssen da unsere Position weiter stärken. Wer sich mit der Unterstützung von Apotheken und Drogerien selbst therapiert, stärkt darüber hinaus seine Gesundheitskompetenz und Eigenverantwortung und spart so Zeit und Geld.» Ärzte und Spitäler werden von unnötigen Konsultationen entlastet und können ihre Kapazitäten dort einsetzen, wo sie wirklich gebraucht werden.

Ein grosses Thema für die Branche ist die Digitalisierung, die längst im Alltag der Prozesse der Hersteller- und Vertriebsfirmen Einzug gehalten hat. «Neue digitale Prozesse und Geschäftsmodelle haben das Potenzial, die Struktur der Branche in den nächsten fünf bis zehn Jahren markant zu verändern», so Bangerter. Nicht nur soziale Plattformen und Kommunikationskanäle eröffnen neue Möglichkeiten. Spezielle Regelungen für einen zukünftigen Versandhandel mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln brennen unter den Nägeln. «Diesbezüglich sind auf Seiten des Gesetzgebers und von Behörden wie auch zwischen unseren Mitgliedern sowie den Apotheken und Drogerien intensive Diskussionen zu verschiedene Konzepte im Gang», sagt Bangerter. Themen rund um die Gesundheit finden hohe Beachtung. Einige Anpassungen des Heilmittelgesetzes schaffen zusätzliches Potenzial, um zu einer Senkung der Gesundheitskosten beitragen zu können. «Es hängt von der Umsetzung in die Praxis ab, ob dies weiter ausgeschöpft werden kann. Dabei spielt auch das Verständnis der Behörden, die neuen Vorschriften zu vollziehen, eine Rolle», sagt Bangerter. «Dazu ist es unerlässlich, dass wir mit den Behörden einen guten und offenen Austausch pflegen können. Die Erfahrung zeigt, dass die Chance, beidseits gangbare Lösungen zu finden, dadurch deutlich steigt.»

Corinne Remund

www.assgp.ch

DAS MACHT DER ASSGP

Förderung der Selbstmedikation

Der Schweizerische Fachverband der Selbstmedikation ASSGP (Association Suisse des Spécialités Pharmaceutiques Grand Public) wurde 1969 gegründet. Damals ergriff der Schweizer Direktor des Europäischen Fachverbandes für Selbstmedikation (AESGP) die Initiative, auch in der Schweiz die Selbstmedikation zu fördern und einen Fachverband zu gründen. Mittlerweile ist der Verband gewachsen, und der Anteil der Mitgliederfirmen am gesamten Selbstmedikationsmarkt beträgt rund 80 Prozent. Die 60 Firmenmitglieder – Hersteller und Vertriebsunternehmen – sind grossmehrheitlich KMU. Weiter gehören 40 Fördermitglieder zum Verband.

Rezeptfreie Arzneimittel, Medizin- und Gesundheitsprodukte sind keine gewöhnlichen Konsumgüter. Ihre Herstellung und Vertrieb, aber auch Produktinformationen und Werbung sind an gesetzliche Bestimmungen gebunden. Die ASSGP verfolgt die Entwicklungen im nationalen und europäischen Umfeld. Dabei ist sie auf politischer Ebene tätig und bringt die Mitgliederinteressen in der Gesundheits- und Pharmapolitik ein sowie wenn es um gesetzliche Bestimmungen geht. Ihr Hauptziel ist dabei, angemessene Rahmenbedingungen für die Geschäftstätigkeit ihrer Mitglieder im politischen und wirtschaftlichen Umfeld zu schaffen.

Die ASSGP pflegt ein grosses Netzwerk in Pharmakreisen mit Branchenpartnern. Der Fachverband ist Mitglied des Europäischen Fachverbandes für Selbstmedikation (AESGP) in Brüssel, der dem Weltverband für Selbstmedikation (WSMI) angeschlossen ist. Die Branche setzt jährlich 1,45 Milliarden Franken (Strassenpreis) um.

CR

FAkten und Zahlen

Steigende Gesundheitskosten

Die Kosten des Schweizer Gesundheitswesens haben 2016 rund 80 Milliarden Franken betragen. Das zeigt das Bundesamt für Statistik. Pro Einwohner und Monat beliefen sich die Ausgaben auf etwa 800 Franken. Jährlich steigen die Kosten um durchschnittlich 3,7 Prozent. Gründe für die steigenden Gesundheitskosten sind die wachsende Bevölkerung, immer mehr ältere und chronisch kranke Menschen sowie wissenschaftliche und technische Entwicklungen für neue Behandlungsmöglichkeiten.

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