Publiziert am: 10.02.2017

Wird die Schweiz zum Gefängnis?

Tribüne

Erinnern Sie sich an den Heidenlärm, den Friedrich Dürrenmatt im Juni 2001 erzeugt und zweifellos genossen hat? Der Dichter begrüsste damals den tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel mit der Aussage: «Die Schweiz ist ein Gefängnis.» Die Linken reagierten schadenfroh und dachten, das sei jetzt Dürrenmatts ultimative Abrechnung mit unserer Fichenaffäre. Die Rechten schäumten, denn sie fanden Dürrenmatts Bild für das sprichwörtlich freiheitliche Land von Wilhelm Tell höchst unpatriotisch. Nur hat keiner richtig hingehört. Dürrenmatt erzählte seine Fabel nämlich zu Ende. Und siehe, seine Aussage lautete: Jeder Staat ist auf seine Art ein Gefängnis, aber am besten und angenehmsten lebt sich’s noch in der direktdemokratischen Schweiz. Denn da sind die Gefangenen zugleich die Gefangenenwärter.

Trotzdem ertappe ich mich immer öfter beim Gedanken: Wird die Schweiz tatsächlich immer mehr zum Gefängnis? Werden die freien Gewerbebetriebe und Unternehmertum nicht immer mehr zu Filialen einer einzigen grauen Administrativanstalt – nämlich des Staates? Man kann es drehen und wenden, wie man will: Der Staatsapparat ist ein Gewaltapparat, der uns zwingt, uns anders zu verhalten, als wir es aus freiem Antrieb tun würden. Nun sind wir uns wohlbewusst, dass es ganz ohne Staat nicht geht. Wer sonst sollte für unsere innere und äussere Sicherheit sorgen? Wer sonst sollte bei Streitigkeiten richten und Übeltäter ihrer gerechten Strafe zuführen? Aber alles ist eine Frage des richtigen Masses.

Je mehr sich der Staat breitmacht, desto enger wird die Luft zum Atmen für jene Menschen, die ihr Glück in der Selbständigkeit suchen. Wir merken doch, wie das bürokratische Korsett von Gesetzen und Vorschriften immer enger wird. Wir wissen, wie lange wir für Formulare und Auflagen der öffentlichen Verwaltung arbeiten müssen. Wir wissen, dass jährlich tausende neuer Staatsstellen entstehen. Wir wissen, dass der grösste Teil der beruflichen Zuwanderung von Ausländern Staatsstellen betrifft. Wir wissen, dass die freie Wirtschaft mit Durchschnittslöhnen von jährlich 121 000 Franken (beim Bund) nicht mitkommt. Und ich fühle mich als Unternehmer persönlich beleidigt, wenn ein Bundesrat behauptet, es sei absolut unmöglich, in seinem Departement mehr als ein Prozent beim Budget einzusparen.

Letzthin hat mir ein aufmerksamer «Weltwoche»-Leser die Ordnungsbussenlisten der Zentralstelle für Verkehrs- und Ordnungsbussen der Stadt Zürich zugeschickt. Diese «Liste» umfasst nicht weniger als 48 Seiten. Darin stehen nicht weniger als 572 (fünfhundertzweiundsiebzig!) Möglichkeiten, als Motofahrzeugführer und Passant mit 20 bis 250 Franken gebüsst zu werden. Zum Beispiel fürs ungeheuerliche Verbrechen des Nichtmitführens des Abgas-Wartungsdokuments. Oder, noch schlimmer, wegen Nichtmitführens der Winkkelle. Hand aufs Herz: Da geht es nicht mehr um die öffentliche Sicherheit, sondern um das Auffüllen der ewig klammen Staatskasse. Die Frage sei erlaubt: Ist das noch unser Staat? Oder ist das bereits eine Räuberbande?

*Der Zürcher SVP-Nationalrat Roger Köppel ist Chefredaktor und Verleger des Wochenmagazins «Die Weltwoche».

Die Tribüne-Autoren geben ihre eigene Meinung wieder; diese muss sich nicht mit jener des sgv decken.

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