Publiziert am: 07.07.2023

Kein Grund zur Nervosität

SCHWEIZ – EU – Die seriöse Arbeit der Stakeholder in der Schweiz und in der EU beginnt langsam, Früchte zu tragen. Nun geht es darum, sich von via Medien lancierten Druckversuchen nicht einschüchtern zu lassen und die Interessen der Schweiz bestimmt und konsequent zu vertreten.

Während das Parlament Vorstösse zur sogenannten Zukunft der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU beriet, überboten sich die Medien einmal mehr in Nervosität. Doch für einmal behielt der Bundesrat die Nerven.

Neuaufnahme der Verhandlungen

Zur Ausgangslage: Im Mai 2021 entschied der Bundesrat, nicht weiter über den Entwurf eines Institutionellen Rahmenabkommens mit der EU zu verhandeln. Den Abbruch begründete er mit den vielen offenen Fragen und staatsrechtlichen Unabwägbarkeiten, die im Laufe der Konsultation an ihn herangetragen worden waren. Als erster Wirtschaftsverband publizierte der Schweizerische Gewerbeverband sgv am 10. Mai 2021 bereits seine Vorschläge für den weiteren Weg.

Es war klar, dass es eine Pause brauchte. Und es war ebenso klar, dass die Verhandlungen neu aufgenommen werden müssen. Schliesslich ist die EU der wichtigste Handelspartner der Schweiz – für Importe und Exporte, für Waren und Dienstleistungen. Gleichzeitig war es klar, dass beide Seiten ihre Prioritäten nicht ändern würden. Die Schweiz will den Marktzugang, und die EU will die institutionelle Einbindung.

Nach etwa zwei Jahren brach dann plötzlich eine Nervosität aus. Diese lässt sich nur durch einen Blaseneffekt erklären – Druck allenthalben. Einerseits wurde das Parlament ungeduldig und wollte das Heft selbst in die Hand nehmen. Dies, obwohl Aussenpolitik grundsätzlich zur exekutiven Kompetenz gehört. Die Medien bauschten – einmal mehr – die Geschichte auf. Sie glaubten, ein Opportunitätsfenster zu erkennen, das sich bald schliessen würde.

Erfolgreiche Arbeit im Hintergrund

Diese Nervosität in der veröffentlichten Meinung gefährdete beinahe die seriöse Arbeit, die im Hintergrund gemacht wurde. Kantone versuchten, einen Kompromiss in Sachen Subventionen – «Beihilfen» in der Sprache der EU – zu finden. Stakeholder tauschten sich zu machbaren Lösungen in Sachen Unionsbürgerrichtlinie aus. Auch die Sozialpartner begaben sich in Arbeitsgruppen mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO.

Heute steht fest: Die Arbeiten haben Früchte getragen. Am 21. Juni 2023 stellte der Bundesrat seinen Paketansatz vor. Dessen Logik wurde bereits im Mai 2021 vom sgv und anderen Akteuren vorgeschlagen: Je grösser das Verhandlungspaket, desto mehr Kompromisse werden möglich. Das heisst wiederum, in jedem Paket sind «gives» und «takes» drinnen; Punkte, die man bereit ist, aufzugeben, und Punkte, die man von der anderen Partei gerne entgegennimmt.

Wir stehen erst am Anfang

Mit seinem Paketansatz hat der Bundesrat gezeigt, dass es sich lohnt, sich Zeit zu nehmen und im Hintergrund Vorarbeit zu leisten. Während der letzten Jahre konnte die Exekutive der EU sogar schon einige Zusagen abringen, etwa was das Schutzniveau des Arbeitsmarkts betrifft. Und trotzdem steht die Schweiz erst am Anfang.

Denn der Paketansatz steckt primär die Verhandlungsposition der Schweiz ab. Seine Inhalte müssen mit der EU erst noch verhandelt werden. Das Verhandlungsergebnis muss anschliessend in der EU und in der Schweiz beraten und von beiden Seiten bestätigt werden. Schon allein zeitlich handelt es sich hier um eine Zeitschiene, auf welcher eher in Jahren als in Monaten gerechnet wird.

Bestimmtheit und Konsequenz

Und dann gibt es noch inhaltliche Knacknüsse, etwa den Arbeitsmarkt oder die Einwanderung ins Sozialsystem der Schweiz – vom Streitschlichtungsmechanismus ganz zu schweigen. Das ist alles kein Grund, nervös zu werden. Sondern vielmehr, die Interessen der Schweiz bestimmt und konsequent zu vertreten und sich von nervösem Geschwätz nicht ablenken zu lassen.

Henrique Schneider,

Stv. Direktor sgv

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