Publiziert am: 15.09.2023

Unsicherheiten setzen den KMU zu

RAIFFEISEN MITTELSTANDSTUDIE – In den vergangenen Jahren trotzten die Schweizer KMU den verschiedenen Krisen und blieben stets optimistisch. Nun scheint sich die Stimmung jedoch zu drehen, wie eine aktuelle Studie zeigt: Anhaltende Inflation, steigende Zinsen, weiter zunehmender Wettbewerbs- und Digitalisierungsdruck sowie der Fachkräftemangel hinterlassen Spuren.

Nach der Pandemie präsentierte sich die Schweizer Wirtschaft im letzten Jahr robust, es herrschte in vielen Branchen ein Aufblühen nach der pandemiebedingten Durststrecke. Die KMU Mittelstandstudie von Raiffeisen, swiss export und Kearney zeigte im letzten Jahr, dass mit 73 Prozent fast drei Viertel der Unternehmen ihre wirtschaftliche Lage als gut bis sehr gut einschätzten.

Die Stimmung wird immer trĂĽber

Nun schwindet dieser Optimismus. In der neusten Umfrage beurteilten nur noch 63 Prozent der befragten KMU ihre aktuelle wirtschaftliche Lage als gut bis sehr gut. Zudem schätzen auch immer weniger KMU die künftige eigene Wirtschaftslage als gut bis sehr gut ein. Der Wert sank kontinuierlich von 76 Prozent im Jahr 2021 auf noch 62 Prozent in diesem Jahr. Die trübere Stimmung widerspiegelt sich auch in den finanziellen Erwartungen für das laufende Jahr. Nur noch die Hälfte der befragten Unternehmen erwarten steigende Umsätze – in den Vorjahren bewegten sich diese Erwartungen noch deutlich über 60 Prozent.

Industrie-KMU befinden sich

faktisch in einer Rezession

Der europäische Wirtschaftsabschwung ist in den Sommermonaten insbesondere bei Schweizer Industrie-KMU angekommen. Der monatlich von Raiffeisen erhobene KMU PMI fiel im Juli von 48,8 auf 46,3 Punkte und notiert nun damit so tief wie seit Anfang 2021 nicht mehr. Damals befand sich die Schweiz gerade im zweiten Corona-Lockdown.

Für die schlechte Geschäftslage gibt es mehrere Gründe, erklärt Roger Reist, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Firmenkunden von Raiffeisen Schweiz: «Der durch die Pandemie entstandene Güternachfrage-Boom ist endgültig ausgelaufen, und die Konsumenten geben stattdessen wieder mehr für Dienstleistungen aus. Andererseits wird die Industrienachfrage durch die hartnäckig hohe Inflation und vermehrt auch den Zinsanstieg belastet.» Der Gegenwind ist aktuell so gross, dass auch der Rückgang der Energiepreise und die Entspannung bei den Lieferengpässen nur wenig Impulse gebracht haben.

Hohe Energie- und Rohstoffpreise als grösstes Konjunkturrisiko

Zwar blieb den KMU durch eine ausgebliebene grossflächige Energiemangellage im letzten Winter Gröberes erspart. Doch die phasenweise massiv teureren Energiekosten aufgrund der Unsicherheit prägten sich bei den Unternehmerinnen und Unternehmern ein. In der KMU Mittelstandstudie nannten fast zwei Drittel der Schweizer KMU hohe Energie- und Rohstoffpreise als grösstes Konjunkturrisiko in den nächsten zwölf Monaten.

Als zweitgrösstes Konjunkturrisiko wird der Fachkräfte- und Personalmangel eingestuft. Quer durch alle Branchen der befragten Unternehmen tun sich die Betriebe schwer, Fachkräfte zu akquirieren und zu halten. Reist rechnet mit einer anhaltenden Entwicklung: «Der Fachkräftemangel dürfte anhalten, denn eine aktuell hohe Nachfrage trifft auf geburtenschwache Jahrgänge – und die Babyboomer gehen in Rente.»

Kaum auf Fachkräftemangel vorbereitet

Die insgesamt hohe Resilienz in der Vergangenheit wurde in der diesjährigen Studie zum Anlass genommen, dem Thema Widerstandsfähigkeit der Schweizer KMU vertieft nachzugehen. Positiv ist zu erkennen, dass sich 62 Prozent der KMU als widerstandsfähig bis sehr widerstandsfähig in Bezug auf die aktuelle von Krisen geprägte Wirtschaftslage bezeichnen. Der Grad der Resilienz ist sehr unterschiedlich: Auf den Fachkräftemangel sehen sich gemäss Umfrage lediglich 19 Prozent vorbereitet. Besser vorbereitet fühlen sich die Unternehmen in Bezug auf die fortschreitende Digitalisierung und damit verbundene Cyberrisiken. Jedoch gaben auch einige Unternehmen an, dass sie schlecht bis sehr schlecht auf Gefahren in der Digitalisierung vorbereitet seien. Das widerspiegelt die hohe Entwicklungsdynamik bei digitalen Chancen, aber auch Risiken.

Politik soll die Beziehungen zur EU stabilisieren

Bei der Frage, welchen Themen sich die Politik dringend widmen sollte, dominiert in der Studie seit Jahren dasselbe Thema: Die Beziehungen mit der EU sollen endlich auf ein solides Fundament gestellt und Klarheit über die künftige Zusammenarbeit geschaffen werden. Roger Reist ergänzt: «Das erstaunt nicht – die EU bleibt wichtigster Handelspartner für die Schweiz, und die Klärung der bilateralen Beziehungen ist für Schweizer KMU zentral im grenzüberschreitenden Handel von Rohstoffen und Produkten.»

An Bedeutung verloren hat hingegen das Vorantreiben der Energiewende: Rangierte dieses Anliegen 2022 noch auf Platz 2, ist es nun auf Platz 5 abgerutscht. Neu auf Platz 2 ist hingegen die Forderung nach Abbau von Bürokratie, gefolgt vom Wunsch nach Sicherung des Fachkräftebedarfs. Dies kann als Auftrag verstanden werden, die vielen Stärken des Schweizer Standorts zu wahren und nicht beispielsweise durch Bürokratie oder unklare Aussenbeziehungen in Gefahr zu bringen. Die Politik ist also hier weiterhin gefordert.

Domagoj Arapovic,Raiffeisen-Makroökonom

Seit 2028 durchgeführt

Puls der KMU messen

Die KMU Mittelstandstudie wird seit 2018 jährlich durchgeführt und misst den Puls der kleinen und mittleren Schweizer Betriebe. Im Frühjahr 2023 haben Kearney und Swiss Export zum mittlerweile sechsten Mal eine Befragung des Schweizer Mittelstands durchgeführt. Zum vierten Mal sind Raiffeisen und das Raiffeisen Unternehmerzentrum RUZ als Partner dabei, als wechselnder Industriepartner beteiligte sich die Angst + Pfister AG. An der Online-Erhebung beteiligten sich 462 Unternehmen.

www.raiffeisen.ch

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